BIOKON – Das Bionik-Kompetenznetz

Nachrichten mit Nachhall

Das Schönste, was wir entdecken können, ist das Geheimnisvolle.
Albert Einstein, Physiker

Bionik ist das anwendungsorientierte Zusammenspiel von Wissenschaft und forschenden Unternehmen. Ihre Ergebnisse zielen auf Innovationen nach dem Vorbild der Natur. Sie sollen immer das Potenzial haben, Ideengeber für ein besseres Morgen zu sein. Solchen erfolgreichen Lösungen schaffen Nachrichten mit Nachhaltigkeit.

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Presse // 26. Januar 2015

Erste Honorarprofessur der Hochschule Rhein-Waal für Julian Vincent

Am Freitag, den 23. Januar 2015 ernannte die Hochschule Rhein-Waal Herrn Prof. Dr. Julian Vincent, Lehrbeauftragter für „Ontology in Biomimetics, Biomimetic Product Design“, für seine außerordentlichen Verdienste zum ersten Honorarprofessor der Fakultät Technologie und Bionik.

Prof. Vincent gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Bionik und Biomimetik, genießt einen exzellenten Ruf als Experte, hat bereits zahlreiche Patente angemeldet und verschiedene Ehrungen von Universitäten und Forschungseinrichtungen erhalten. An der Hochschule Rhein-Waal entwickelte er das Curriculum des Masterstudiengangs „Bionics/Biomimetics“ mit und lehrt seit drei Semestern an der Fakultät Technologie und Bionik. „Der Bereich Bionik spielt als übergreifende Disziplin in fast allen Studiengängen unserer Fakultät eine große Rolle. Wir sind froh, mit Herrn Prof. Vincent einen exzellenten Wissenschaftler und Lehrenden an unserer Hochschule willkommen zu heißen, der in herausragender Weise die fachlichen und interdisziplinären Anforderungen seines Fachgebiets vermittelt“, sagt der Dekan der Fakultät Technologie und Bionik Prof. Dr.-Ing. Thorsten Brandt.

Als weltweit renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Bionik und Biomimetik gründete Prof. Vincent, der damals im Department of Zoology an der University of Reading tätig war, gemeinsam mit Prof. George Jeronimidis aus dem Department of Engineering im Jahr 1991 das weltweit erste Zentrum für Biomimetik. Die erfolgreiche Einrichtung begann mit 15 Forschern und Mitarbeitern und wurde zu 60 Prozent durch Unternehmen teilfinanziert. Inzwischen hat das Zentrum zahlreiche interdisziplinäre Projekte in vielen Forschungsgebieten durchgeführt und eine Fülle an Forschungsergebnissen veröffentlicht.

Außerdem leitete Prof. Vincent eine Vielzahl von internationalen Forschungsseminaren, ist Mitglied in verschiedenen Forschungsgruppen und publizierte zahlreiche Fachartikel. „Das sich gegenseitig ergänzende Zusammenspiel von Hochschule und Wirtschaft, von Studierenden, Hochschullehrenden und Industriefachkollegen war und ist eines meiner wichtigsten Ziele. Mein Bestreben ist es, die Studierenden möglichst praxis- und zukunftsorientiert sowie fachlich kompetent und breit aufgestellt auf ihren Berufseintritt vorzubereiten“, sagt Prof. Vincent.

Die Übergabe der Verleihungsurkunde an Prof. Vincent wurde durch die Präsidentin der Hochschule Rhein-Waal, Frau Prof. Dr. Marie-Louise Klotz, vorgenommen. Die Laudatio hielt der Dekan der Fakultät Technologie und Bionik, Prof. Brandt.

Quelle: Pressemitteilung der Hochschule Rhein-Waal

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Forschung // 22. Dezember 2014

Mikromuscheln als Mini-Roboter für die Medizin

Mikro- oder gar Nano-Roboter könnten im menschlichen Organismus künftig einmal medizinische Dienste verrichten. Diesem Ziel sind Forscher, unter anderem vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, nun einige Schritte näher gekommen. Es ist ihnen nämlich gelungen, Schwimmkörper zu konstruieren, die erstmals gleich zweierlei erfüllen: Sie wären klein genug für einen Einsatz in Körperflüssigkeiten oder sogar in einzelnen Körperzellen. Und sie sind so gebaut, dass sie sich in Flüssigkeiten durch ihre eigene Bewegung selbstständig fortbewegen könnten.

1966 erschien der Film „Die phantastische Reise“. Ein U-Boot wird darin samt Personal so sehr verkleinert, dass es sich durch einen menschlichen Körper bewegen und die Besatzung im Gehirn eine Operation durchführen kann. Bis heute ist das Sciencefiction, und der Transport eines OP-Teams zu einem Krankheitsherd wird es sicher auch bleiben. U-Boote, die sich durch den Körper manövrieren lassen, könnten dennoch von großem Nutzen sein: Sie könnten einen pharmazeutischen Wirkstoff gezielt an einen bestimmten Punkt etwa in der Netzhaut bringen. Oder ein medizinisches Gerät punktgenau im Organismus platzieren. Und sie könnten es ermöglichen, eine Gentherapie gezielt an einer bestimmten Zelle vorzunehmen.

Wenn es nach Peer Fischer, Leiter der Arbeitsgruppe „Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme“ am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, geht, können Mediziner in absehbarer Zukunft auf Mikro- oder sogar Nano-Roboter zurückgreifen, um solche Aufgaben zu erfüllen. Die kleinen Helfer sollen die gewünschten Ziele im Körper akkurat ansteuern, ohne dass ein größerer operativer Eingriff nötig wäre.

Im Wasser käme eine Mikromuschel mit symmetrischen Bewegungen nicht voran

Bei diesem Vorhaben gibt es allerdings zwei grundlegende Herausforderungen. Natürlich müssen solche Vehikel ausreichend klein sein, um zum Beispiel per Spritze in den Augapfel injiziert werden zu können. Zum anderen müssen sie sich, einmal in den Körper gebracht, dort auch in der gewünschten Weise und Richtung fortbewegen können. In beiderlei Hinsicht melden Forschergruppen um Peer Fischer nun Fortschritte.

Gemeinsam mit Forschern am Technion in Israel und an der TU Dortmund hat die Stuttgarter Gruppe in einer aktuellen Arbeit eine Art künstliche Muschel entwickelt, die nur wenige Hundert Mikrometer groß ist. Diese haben die Wissenschaftler so konstruiert, dass sie sich in Testflüssigkeiten durch einfaches Öffnen und Schließen der Muschelschalen fortbewegt. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es zunächst klingt. „Die Muschel ist ja nur wenige Male größer, als ein menschliches Haar dick ist“, erklärt Fischer. „Für die ist eine Flüssigkeit wie Wasser also etwa so zäh wie für uns Honig oder gar Teer.“ Und bei so hoher Reibung in Flüssigkeiten gilt eigentlich, dass symmetrische Bewegungen, wie eben das gleichförmige Öffnen und Schließen einer Muschelschale, unter dem Strich kein Fortkommen bewirken. Das Vor und Zurück durch die jeweils gegensätzlichen Bewegungen heben sich schlicht auf.

In Wasser wäre die Mikromuschel aus diesem Grund in der Tat nicht vom Fleck gekommen. Doch weil die Forscher langfristig den Einsatz in biologischen Medien im Auge haben, testeten sie ihren Schwimmer direkt auch in dafür geeigneten Modellflüssigkeiten. Und die weisen im Gegensatz zu Wasser Besonderheiten auf. „Die meisten Körperflüssigkeiten haben die Eigenschaft, dass sich ihre Viskosität je nach Bewegungsgeschwindigkeit ändert“, sagt Fischer. „In Gelenkflüssigkeit zum Beispiel ordnen sich Hyaluronsäure-Moleküle im Ruhezustand zu netzwerkartigen Strukturen an, die für eine hohe Viskosität sorgen. Doch sobald sich etwas durch diese Flüssigkeit bewegt, bricht das Netzwerk auf – und das Fluid wird dünnflüssiger.“

Eine magnetische Steuerung öffnet und schließt die Muschel

Genau dieses Verhalten machten sich die Wissenschaftler bei ihrer Muschel zunutze. Konkret steuerten sie die Muschelschalen so, dass sie sich sehr viel schneller öffnen als schließen. „Dieses zeitlich asymmetrische Bewegungsmuster führt dazu, dass die Flüssigkeit während des Öffnens dünnflüssiger ist als beim anschließenden Schließen“, sagt Doktorand Tian Qiu vom Stuttgarter Team. Damit ist die Distanz, die die Muschel beim Öffnen zurücklegt, auch eine andere als die, um die sie sich beim Schließen wieder zurückbewegt. Netto kommt sie also voran. Es sei das erste Mal überhaupt, dass sich ein künstliches Gebilde dieser Größenordnung mit symmetrischen Bewegungszyklen in Flüssigkeiten fortbewegte, so Tian Qiu.

Um ihren Mikroschwimmer überhaupt derart kontrollieren zu können, arbeiteten sie in der Achse, die das Gelenk zwischen beiden Muschelschalen bildet, magnetische Seltenerdmetalle ein. Über ein von außen angelegtes Magnetfeld regulierten sie dann, wie sich die Muschelschalen öffnen und schließen – letztlich also, wie sie sich fortbewegen. Die Erkenntnis der Stuttgarter Forscher, dass mikroskopische Vehikel durch manche Flüssigkeiten auch mit symmetrischen Bewegungen schwimmen, gilt aber nicht nur für magnetisch angetriebene Tauchfahrzeuge. Vielmehr lässt sich ein Miniatur-U-Boot in Muschelform auch durch andere Aktuatoren bewegen, etwa einen, der auf eine Temperaturveränderung reagiert.

Die eigentliche Muschel bestand aus einem relativ harten Kunststoff. Hier lag die besondere Herausforderung darin, die Muschelschalen einerseits extrem dünn und andererseits robust genug für die „Ruderbewegungen“ in einem vergleichsweise zähen Medium zu gestalten.
Die Wissenschaftler, die ihre Arbeit nun in Nature Communications vorstellten, wollen ihre Mikroschwimmer nun in konkreten biologischen Flüssigkeiten testen. „Uns interessiert im nächsten Schritt zum Beispiel, ob wir diesen Roboter auch durch eine extrazelluläre Matrix, also durch ein Gewebe, steuern können“, so Peer Fischer.

Originalpublikation: Nature Communications, 4 November 2014; DOI: 10.1038/ncomms6119
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft, München

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Aktuelles // 9. Dezember 2014

Sternstunden der Evolutionsstrategie − ein halbes Jahrhundert Zickzack mit Darwin

Für Bioniker war es ein Doppeljubiläum der besonderen Art: Prof. Dr. Ingo Rechenberg, einer der Bionik-Pioniere und BIOKON-Gründungsmitglied, beging am 20.11.2014 seinen 80. Geburtstag. Gleichzeitig war es der 50. Jahrestag der Vorstellung der Evolutionsstrategie, die von Professor Rechenberg für die Lösung ingenieurtechnischer Herausforderungen entwickelt wurde.  

Am 18. November 1964 titelte der SPIEGEL „Zickzack nach Darwin“. Genau 50 Jahre später referierte Prof. Rechenberg bei einem interdisziplinären Symposium an der Universität Jena, das an sein bahnbrechendes »Darwin-im-Windkanal-Experiment« erinnerte zu den „Sternstunden der Theorie der Evolutionsstrategie“.  

Fünfzig Jahre zurück: Gemeinsam mit seinen damaligen Kommilitonen Peter Bienert und Hans-Paul Schwefel führte der damalige Luftfahrtstudent Ingo Rechenberg an der Technischen Universität Berlin ein Schlüsselexperiment im Windkanal durch. Es ging um die Bestimmung der idealen Form von Flügeltragflächen mit dem geringsten Widerstand mithilfe des Evolutionsprinzips. Rechenberg stellte dieses Experiment dann mit Hilfe der Film-Zeitraffer-Technik auf einer Tagung in Berlin vor – ein wissenschafts- und technikhistorisch bedeutsames Ereignis.  

Hätten die Wissenschaftler die verschiedenen Einstellungen des Flügelprofils systematisch getestet, hätte es Jahre gedauert, die widerstandsärmste Flügelform zu finden. Doch durch die Anwendung von Selektion und Variation benötigten sie nur wenige Tage. Variation und Rekombination sind Konzepte die vor allem aus der Evolutionsbiologie bekannt sind. Bei der Evolutionsstrategie werden diese Prinzipien zur Optimierung technischer Systeme angewendet, um Produkte und Prozesse robust und effizient zu optimieren − auch bei solchen Problemen, bei denen andere Optimierungsverfahren versagen.  

Die Evolutionsstrategie  

Die Anwendungsbandbreite der Evolutionsstrategie reicht von der Optimierung von Prozessabläufen über die Anpassung von subjektiv zu beurteilende Produkteigenschaften und der Erstellung von Vorhersagemodellen von sozialem Verhalten oder der Entwicklung von Finanzmärkten bis hin zur Auslegung von Bauteilen und Großkonstruktionen.  

Die Evolutionsstrategie kann in unterschiedlichen Stadien des Projektverlaufs ohne größeren Aufwand eingesetzt werden, so z.B. in der Anfangsphase zur Ermittlung von Ausgangmodellen, während des Projektes zur Selektion und Identifikation von Prozessparametern und selbstverständlich für die „Hauptoptimierung“ und letztlich auch zur Optimierung des technischen Herstellungsverfahrens für das Ergebnis bzw. Produkt.  

Die Optimierung kann anhand von Computermodellen und Simulationen erfolgen, wie bei Schiffspropellern erfolgreich zur Minimierung des Treibstoffverbrauchs eingesetzt. Auch Optimierungsaufgaben mit verrauschten Zielfunktionen, die also durch externe Einflüsse gestört werden, wie bei Rohrkrümmern zur Reduktion des Druckverlustes, sind lösbar, oder zu optimierende Systeme mit korrelierten Parametern, also voneinander abhängigen Variablen, wie zum Beispiel bei der Modellidentifikation oder beim Regler-Design.  

Sind die Parameterkonstellationen zu komplex, um sie über Formeln abbilden zu können, ist es mit Hilfe der Evolutionsstrategie auch möglich, die Bewertung der einzelnen Entwicklungsschritte auf Grundlage von experimentell ermittelten Messergebnissen vorzunehmen. So wurden beispielsweise Strömungsprofile hinsichtlich der Widerstandsminimierung optimiert. Industrierelevant ist ferner die Optimierung mit subjektiver Bewertung, also die Bewertung durch den Menschen, wenn es zum Beispiel um Sinneswahrnehmung geht und eine Farbe, ein Geräusch oder ein Geschmack verglichen und optimiert werden soll. Ein Beispiel hierfür ist die Optimierung des Designs von Radfelgen nach mechanischen und ästhetischen Kriterien.  

Ingo Rechenberg  

Gemäß des Spruches „Einen Naturvorgang verstehen heißt, ihn in Mechanik zu übersetzen“ (Hermann von Helmholtz) hat Rechenberg schon von frühester Jugend an versucht, Naturphänome bei Saalflugmodellen einzusetzen. Später studierte er Maschinen- und Flugzeugbau. Motiviert durch die Vorlesungen von Johann-Gerhard Helmcke über Evolution, setzt er anfangs alleine und dann mit seiner Arbeitsgruppe evolutionäre Prinzipien zur Lösung technischer Probleme ein.  

Als einer der weltweiten Vorreiter der Bionik, wird Ingo Rechenberg 1972 an den Lehrstuhl „Bionik und Evolutionstechnik“ der TU Berlin berufen. Er ist somit einer der ersten in Deutschland, der Bionik als Wissenschaftsrichtung etabliert hat. Seine Beiträge reichen von der Evolutionsstrategie als ein universelles Optimierungswerkzeug über die Windkraftanlage BERWIAN bis hin zu Projekten zur photobiologischen Wasserstofferzeugung. Sein aktuelles Arbeitsgebiet ist die Umsetzung von biologischen Prinzipien, die er in der Wüste Sahara findet, wie z.B. verschleißarme Oberflächen nach dem Vorbild des Sandfisches, eine „Bionik-Pumpe“, die ohne Mechanik mit Hilfe der Sonnenenergie nach dem Vorbild von Pflanzen Flüssigkeiten transportiert oder die rollende Lokomotion nach dem Vorbild der mittlerweile nach ihm benannten Spinne Cebrennus rechenbergi.  

Bereits seit 1982 begibt sich Rechenberg jährlich mit seinem Expeditionsfahrzeug in die Wüste Erg Chebbi am Rand der Sahara in Südmarokko – seine Begeisterung für die Bionik und speziell das Studieren und Nutzen von Ergebnissen der biologischen Evolution treibt ihn an; eine Begeisterung, die er bis heute in seinen Vorlesungen an der TU Berlin auch an die Studierenden weitergibt.

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Aktuelles // 28. Oktober 2014

Internationaler Bionic Award für Entwicklung wasser- und ölabweisender Oberflächen

Der internationale Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung geht in diesem Jahr an ein dreiköpfiges, interdisziplinär zusammengesetztes Team vom Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden. Den mit 10.000 Euro dotierten Nachwuchsforscherpreis erhielten Dr. René Hensel, Dr. Ralf Helbig und Dipl.-Biol. Julia Nickerl für ihre herausragenden Leistungen zur Entwicklung robuster, wasser- und ölabweisender Polymer-Membranen nach dem Vorbild der Hautstrukturen von Springschwänzen.

Die Verleihung durch Marc Schauenburg, Repräsentant der Schauenburg-Stiftung, fand am 24.10.2014 im Rahmen des Bionik-Kongresses „Patente aus der Natur“ in Bremen statt. Der International Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft wird von der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences vergeben.

Das Gewinner-Team aus Sachsen hat im Rahmen ihrer Arbeiten die Morphologie und Chemie der Haut von Springschwänzen (Collembola), kleinen im Boden lebende Insekten, charakterisiert. Dabei wurden die grundlegenden Merkmale der Tiere hinsichtlich Benetzungsverhalten und mechanischer Stabilität in eine künstliche Membran mit bio-inspirierter Oberflächenstrukturierung übertragen. Mithilfe dieses bionischen Ansatzes konnte der Anwendungsbereich wasserabweisender Oberflächen auf verschiedenste Flüssigkeiten erweitert und mit einem langlebigen, mechanisch stabilen Strukturmodell vereint werden.

Die Nachwuchsforscher überzeugten mit dieser Idee die internationale Experten-Jury. „Die ausgezeichnete Arbeit ist eine bahnbrechende Weiterentwicklung des bekannten Lotus-Effekts“, erklärt Jurymitglied und BIOKON-Vorstandsvorsitzende Professorin Antonia Kesel von der Hochschule Bremen. „Die einzigartigen Benetzungseigenschaften der Springschwanzoberfläche ermöglichen die Entwicklung innovativer Materialien mit neuen Einsatzgebieten wie beispielsweise im Arbeitsschutz.“

„Interdisziplinäres Arbeiten und konstruktives Querdenken sind Grundvoraussetzungen in der Bionik und auch für Unternehmen die Basis des Erfolgs“, sagt Marc-Georg Schauenburg, Sohn des Stifters des Bionic Awards. „In diesem Jahr waren besonders viele überzeugende Konzepte dabei.“ So wurde ein Team des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Kiyoharu Nakajima, Kai Tausch, Patrick Maurer und Luis Paulo entwickelten mit SIREXTM einen Pendelhubbohrer für die orthopädische Chirurgie nach dem Vorbild der Holzwespe und könnten damit die Orthopädie und Prothetik revolutionieren. Darüber hinaus wurden Adrian Klein und Hendrik Herzog von der Universität Bonn sowie Harmen Droogendijk von der Universität Twente mit den beiden dritten Plätzen ausgezeichnet.

Save the date: Bewerbungen für den Bionic Award 2016

Im Jahr 2016 wird der International Bionic Award zum fünften Mal vergeben. Anmeldeschluss für Bewerbungen ist 29.02.2016. Die Ausschreibebedingungen und alle relevanten Informationen sind auf der Homepage des International Bionic Awards zu finden.

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Forschung // 10. Oktober 2014

Bionisches Auge lässt Blinde wieder sehen

Die kalifornische Firma Second Sight Medical Products hat eine Netzhautprothese entwickelt, bestehend aus einer Brille mit einer Minikamera, einem Mikrochip und Elektroden, die auf die Netzhaut blinder Patienten implantiert werden. Die Brille sendet die Videosignale an einen Mikrochip, welcher die Signale in elektrische Impulse umwandelt und per Drahtlosverbindung direkt an die auf der Retina befindlichen Elektroden weiterleitet. Die Nervenzellen auf der Netzhaut nehmen die Signale als Licht wahr. Das „bionische Auge“ ist unter dem Namen Argus II Retinal Prosthesis System erhältlich. Blinde könnten mit dessen Hilfe wieder sehen und im besten Fall sogar wieder lesen, so Robert Greenberg, CEO von Second Sight Medical Products.

Im Prinzip funktioniert das Implantat wie ein Bypass, der die kranken Zellen umgeht und elektronisch die gesunden Zellen stimuliert. Die Augenprothese bietet so die Möglichkeit, vollkommen erblindeten Patienten mit bestimmten Netzhauterkrankungen eine wirksame Behandlung anzubieten. Mit einem speziellen Training lernen sie, zumindest Teile ihrer Umgebung wieder zu erkennen. Das ist zwar kein normales Sehen, aber eine enorme Steigerung der Lebensqualität und Unabhängigkeit. Die meisten Patienten erhalten immerhin einen Teil ihres Sehvermögens zurück.

Lisa Kulik, die seit 30 Jahren an einer degenerativen Netzhautentzündung (Retinitis pigmentosa) leidet, ist eine der Testpersonen. Das erste, was sie mit dem Mikrochip sehen konnte, war der Vollmond im Himmel, berichtet Kulik bei CNBC Innovation Cities. „Einige Wochen später konnte ich das Feuerwerk am vierten Juli beobachten, das hatte ich schon seit 30 Jahren nicht mehr gesehen.“

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass es weltweit rund 285 Millionen Menschen mit Sehbehinderungen gibt, davon sind 39 Millionen blind. Greenberg ist deshalb überzeugt, dass das Potenzial des bionischen Auges riesig ist. Im nächsten Schritt will er mit seinem Team die Technologie weiterentwickeln und ein Implantat direkt im visuellen Bereich des Gehirns platzieren. Das sei die direkte Schnittstelle zur Wiederherstellung des Sehvermögens und unabhängig von der Ursache der Erblindung.

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Presse // 26. August 2014

Neuartiges Pflaster ohne Klebstoff

Amerikanische Forscher experimentieren mit einem neu entwickelten Pflaster, das nicht mit Klebstoff beschichtet, sondern mit Hunderten von Mikronadeln aus Kunststoff besetzt ist. Diese dringen in das Gewebe ein, schwellen dort an und haften fest. Das Pflaster schont die Haut und lässt sich leicht wieder entfernen, berichtet die Deutsche Apotheker Zeitung.

Das Vorbild des neuen Pflastertyps ist der Kratzwurm (Pomphorhynchus laevis), ein Fischparasit. Dieser will möglichst lange in seinem „Lebensraum“ bleiben und nicht seinen Wirt verlassen. Deshalb dringt der Wurm mit seinem dünnen „Rüssel“ in die Darmwand ein, wo der Rüssel durch die Einlagerung von Wasser sein Volumen vergrößert und dadurch fest im Gewebe verankert wird.

Während der Kratzwurm nur einen einzigen Anker besitzt, ist das neuartige Pflaster dicht mit Nadeln besät. Sie haben einen Kern aus Polystyren, der seine Form nicht verändert, und eine Spitze aus einem Gemisch von Polystyren und Polyacrylat, das Wasser aufnehmen kann und dabei anschwillt. Sobald die Nadeln ins Gewebe eingedrungen sind, nehmen sie Wasser auf und verankern sich darin.

Krankenhausärzte um Jeffrey Karp in Boston, die das Pflaster entwickelt haben, sehen Anwendungsmöglichkeiten vor allem dort, wo eine sichere Fixierung wichtig ist. Dies ist bei transplantierter Haut – z.B. bei Patienten mit schweren Verbrennungen – der Fall, die derzeit in der Regel durch Klammern fixiert wird. Das Pflaster scheint hier die ideale Alternative zu sein, denn es sitzt fester, beeinträchtigt das Gewebe mitsamt den Nerven und Gefäßen weniger und verringert auch noch das Infektionsrisiko. Zudem lässt sich das Pflaster schonend entfernen, wenn es seine Funktion erfüllt hat.

Nach Meinung seiner Erfinder hat das Pflaster weiteres Potenzial: Die Nadelspitzen könnten mit Arzneistoffen wie Antibiotika oder wundheilungsfördernden Substanzen beladen werden, die dann nicht mehr die Barriere der Hornzellschicht zu durchdringen brauchten, sondern direkt in das lebende Gewebe der Haut gelangen und dort ihre Wirkung entfalten.

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Presse // 21. August 2014

Leise wie ein Eulenflügel

Ziehl-Abegg hat im Bereich der Lüftungstechnik für einen neuen Ventilator den Flügel nach dem Vorbild einer Eule geformt. Das Ergebnis: Der Ventilator ist flüsterleise. Zudem wird dieser „bionische Ventilator“ aus einem bio-basiertem Polyamid von Akro-Plastic hergestellt.

Ziehl-Abegg hat die Vorteile der Bionik erkannt und entsprechend in der Formgestaltung ihrer neuen Ventilatorgeneration umgesetzt. Besonders der extrem leise Flug der Eule hat die Entwickler des Unternehmens inspiriert. Ventilatorenflügel mit einer gezackten Hinterkante, wie beim Eulenflügel, sind nun in vielen Bereichen markantes Kennzeichen von Produkten des Künzelsauer Industrieunternehmens. Diese Geometrie nach Vorbild des Eulenflügels reduziert das Geräusch des Ventilators maßgeblich. „Indem wir bionische Erkenntnisse in die Entwicklung unserer Ventilatoren einfließen lassen, stoßen wir in ganz neue Sphären bei Energieeinsparung und Geräuschreduzierung vor“, erklärte Norbert Schuster, Technikvorstand bei Ziehl-Abegg.

Neu ist der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen für die Kunststoffherstellung. „Damit können wir schon bei der Produktion den CO2-Fußabdruck von Ventilatoren deutlich reduzieren“, erklärte Schuster den Prototyp eines bionischen Ventilators aus Bio-Kunststoff.
Als Material für den neuen Axialventilator wählte man das biobasierte Polyamid 6.10 von Akro-Plastic (Akromid S), das die gängige Definition eines Biokunststoffs erfüllt. Es besitzt einen bis zu 70%-igen biogenen Kohlenstoff-Anteil.

Diese extrem leisen und energieeffizienten Ventilatoren werden zukünftig in der Kältetechnik, in Heizungen, Wärmepumpen und zur Elektronikkühlung ihren Einsatz finden. In diesen Bereichen sorgen sie dafür, dass neben einem ressourcenschonenden Werkstoffeinsatz auch die Geräuschemission deutlich reduziert wird. Das umweltfreundliche bionische Konzept von Ziehl-Abegg wurde in verschiedenen Wettbewerben durch Auszeichnungen honoriert.

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Presse // 22. Juli 2014

Schlangenhaut gegen den Verschleiß

Quietschende Bremsen, ratternde Scheibenwischer, abgefahrene Reifen: Verschleiß technischer Bauteile macht uns nicht nur in unserem persönlichen Alltag zu schaffen. Mit einer künstlichen Schlangenhaut von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) könnten wartungsbedingte Produktionsausfälle sowie teure und umweltschädliche Schmiermittel zukünftig Geschichte sein. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Kieler Forschenden vor kurzem in dem Fachjournal Beilstein Journal of Nanotechnology.

„Schlangen bewegen sich seit Millionen von Jahren ohne Extremitäten fort“, weiß Dr. Martina Baum. Die Forscherin der CAU mit einem Abschluss im seltenen Studiengang Technische Biologie, Universität Stuttgart, hat sich genau deshalb die Oberfläche von Schlangenhaut genauer angesehen. Und nicht nur das: In ihrer Studie berichten Baum und ihre Kollegen Professor Stanislav N. Gorb und Lars Heepe aus der Arbeitsgruppe Funktionelle Morphologie und Biomechanik am Zoologischen Institut, wie sie die Eigenschaften von Bauchschuppen der Kalifornischen Kettennatter auf ein künstliches Material übertrugen. „Die Schlange ist in vielen verschiedenen Gegenden zuhause und bewegt sich auf unterschiedlichen Untergründen“, erklärt Baum ihre Wahl der Art. „Das macht sie sehr interessant für unsere Grundlagenforschung.“

Bei der durch Schlangen inspirierten mikrostrukturierten Polymeroberfläche, kurz SIMPS, und verschiedenen anderen ähnlichen Oberflächen analysierten die Forschenden deren Reibungs- und insbesondere deren „Stick-Slip-Verhalten“ (oder auch Ruckgleiten). Dieses Phänomen tritt immer dann auf, wenn zwei Festkörper übereinander hinweg gleiten. Dabei entstehen Vibrationen: im großen Maßstab zum Beispiel bei Erdbeben, im mikroskopisch kleinen Maßstab eben bei quietschenden Bremsen. Neben unerwünschten Geräuschen sorgt es ebenfalls für einen erhöhten Materialverschleiß.

Sowohl ein Abdruck der echten Schlangenhaut als auch die SIMPS zeigten in den Untersuchungen ein reduziertes Ruckgleiten. „Wir konnten außerdem zeigen, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Reibungskoeffizient und Ruckgleiten gibt“, berichtet Martina Baum. Der Reibungskoeffizient spiegelt das Verhältnis von Reibungskraft und Anpresskraft zwischen zwei Körpern wider. Das verminderte Auftreten des Ruckgleitens bei Schlangenhaut und SIMPS lasse darauf schließen, so die Forschenden, dass die Bauchschuppen von Schlangen nicht nur reibungsoptimiert, sondern auch abriebminimiert sind, um länger intakt zu bleiben. Technische Polymeroberflächen, die durch Reibung beansprucht werden, könnten von den Erkenntnissen profitieren und nach Vorbild der Schlangenhaut verbessert werden.

Martina Baum wechselte nach der Studie von der Zoologie in die Kieler Materialwissenschaften in die Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien. Dort ist ihre Kombination von biologischem und technischem Wissen sehr gefragt. Planungen, die Forschung in diesem Bereich, basierend auf den Erkenntnissen aus dem Schlangenhaut-Projekt fortzuführen, gibt es auch schon.

Diese Forschungsarbeit wurde im Rahmen des BIONA Förderprogramms (BMBF 01 RB 0812A) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Dieses Projekt war eine Kollaboration zwischen Forschern der Christian-Albrechts Universität zu Kiel, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und dem Industriepartner Leonhard Kurz Group Stiftung & Co (Fürth, Germany).
Quelle: CAU Kiel

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Aktuelles // 19. Juli 2014

Eine Haut lässt die Muskeln spielen

Ungeahnte Kräfte entwickelt eine künstliche Haut, die ein Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam jetzt präsentiert. Die Forscher haben eine Membran hergestellt, die sich sehr schnell aufrollt, wenn sie in Kontakt mit den Dämpfen organischer Lösungsmittel wie etwa Aceton kommt. Mit der Folie – Fachleute sprechen von einem Aktuator – ahmen sie biologische Strukturen nach, die sich wie die Venusfliegenfalle oder die Deckel der Samenkapseln von Mittagsblumen bei einem Reiz von außen bewegen. Dabei kommt ihr Aktuator den biologischen Vorbildern besonders nah, weil die Forscher darin erstmals zwei Designprinzipien anwendeten, die Materialwissenschaftler bisher nicht für solche Systeme nutzten: Zum einen konzipierten sie die Membran so, dass deren Oberseite hart ist, das Material darunter aber allmählich weicher wird. Zum anderen wird die Folie von Poren durchzogen, die dem Lösungsmittel einen raschen Zugang in die Membran gewähren. Daher reagiert diese auf den äußeren Reiz schneller als andere Aktuatoren. Solche Materialien könnten als künstliche Haut und Muskeln etwa für Roboter dienen, eignen sich aber auch als Sensoren.
 
Pflanzen kennen keine Muskeln, viele sind trotzdem ziemlich rührig. So öffnen sich die Samenkapseln der Mittagsblume, wenn sie nass werden, wenn die Bedingungen also günstig sind, damit die Samen gedeihen können. Sobald die Kapseln trocken fallen, schließen sich die Deckel wieder. Die Aussicht auf eine erfolgreiche Fortpflanzung, verdankt die Mittagsblume der ausgeklügelten Struktur der Kapseldeckel: Da deren Unterseite anders als die Oberseite Wasser aufnehmen kann und dabei aufquillt, klappen die feuchten Deckel auf, während sie sich im trockenen Zustand wieder zusammenfalten. Ganz ähnlich funktioniert der biomimetische Aktuator, den ein Team um Jiayin Yuan, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, entwickelt hat.

„Unsere Membran reagiert auf einen äußeren Reiz gut zehnmal schneller als bisherige Polymer-Aktuatoren“, sagt Jiayin Yuan. „Sie führt zudem eine größere Bewegung aus.“ Dabei übt die Membran eine Kraft aus, mit der sie etwa da zwanzigfache ihres eigenen Gewichts anheben kann. Und sie funktioniert sogar dann noch fast tadellos, wenn ihr die Forscher ziemlich zusetzen: Erst kühlen sie das Material mit flüssigem Stickstoff zwei Stunden lang auf minus 190 Grad Celsius, erhitzen es anschließend einen ganzen Tag lang auf plus 150 Grad Celsius und pressen es dann noch mit einer Tonne pro Quadratzentimeter. Zwar büßt die Membran bei dieser Tortur ein wenig an Reaktionsgeschwindigkeit ein, funktioniert aber immer noch besser als alle vergleichbaren Polymer-Aktuatoren, die sich beim Kontakt mit einer Flüssigkeit bewegen.

Ein Gefälle im Grad der Vernetzung und Poren machen den Unterschied

Materialwissenschaftler verfolgten bereits verschiedene Ansätze, um biomimetische Aktuatoren zu entwickeln, die sich also wie biologische Vorbilder verhalten. Bisher kamen sie dabei jedoch nicht an das natürliche Vorbild heran. Wie bei den mechanischen Teilen von Pflanzen macht auch hier die Struktur des Materials den Unterschied. „Unsere Membran weist einen Gradienten, also eine Gefälle im Grad der Vernetzung auf, und ist außerdem porös“, sagt Jiayin Yuan. „Dank dieser beiden Strukturmerkmale, reagiert unser Aktuator schnell und mit einer großen Bewegung.“ Bisher bestehen viele solcher Aktuatoren dagegen aus zwei Schichten, die unterschiedlich viel Flüssigkeit aufnehmen. Solch eine Materialkombination kann aber nur relativ kleine Bewegungen ausführen, und ist dabei sogar noch langsam. Viele dieser Systeme lassen sich auch nur aufwändig herstellen, einige gehen zudem kaputt, wenn sie zu heiß oder trocken werden.

Ihren besonders leistungsfähigen Membran-Aktuator erhalten die Forscher, indem sie zunächst in einer entsprechenden Lösung eine Membran aus einem ionischen Polymer erzeugen. In diese Folie eingelagert sind voluminöse Säulen-Moleküle, die mögliche Anknüpfungspunkte zu den ionischen Polymeren tragen. Die molekularen Säulen und Ketten vernetzen die Forscher nun mit einer Ammoniaklösung, die die Anknüpfungspunkte der Säulen aktiviert. Der Clou dabei: Die Forscher gewähren der Ammoniaklösung nur von einer Seite Zugang zu der Membran, weil diese auf einer Glasunterlage liegt. Die Lösung sickert also nur langsam von oben in die Folie ein. Daher verknüpft sie die Komponenten an der Oberseite stark, aber immer weniger, je tiefer es in die Membran hineingeht. Die wässrige Ammoniaklösung hat darüber hinaus noch einen anderen Effekt: Sie hinterlässt auch die Poren in der Folie.

Durch die Poren breitet sich der Dampf des Lösungsmittels wie etwa des Acetons schlagartig in der Membran aus. An der Oberseite, die stark vernetzt und hart ist, richtet die organische Treibstoff des Aktuators allerdings nicht viel aus. In Richtung der Unterseite dagegen immer mehr: Dort löst es das ionische Polymer und lässt das Material aufquellen – die Membran biegt sich.

Die Membran kann zwischen verschiedenen Lösungsmitteln unterscheiden

Solche Aktuatoren könnten überall dort nützlich sein, wo ein Material mit einer Bewegung auf einen äußeren Reiz reagieren soll. So könnte eine Membran wie diejenige des Teams um Jiayin Yuan, an dem auch Forscher des Helmholtz-Zentrums Berlin beteiligt waren, Robotern gleichzeitig als künstliche Haut und Muskel dienen. Ihr besonderer Charme läge darin, dass für die Bewegung keine Energie extra aufgewendet werden müsste. Die würde vielmehr der Reiz selbst liefern.

Eine weiteres ziemlich unerwartetes Einsatzgebiet der Membran kam den Forschern in den Sinn, während sie verschiedene Lösungsmittel zum Antrieb des Aktuators testeten: „Die Membran reagiert sehr charakteristisch auf jedes Lösungsmittel, das wir verwendeten – sowohl in der Stärke der Bewegung als auch in der Reaktionszeit“, erklärt Jiayin Yuan. „Sie eignet sich also sehr gut als Sensor, der zwischen verschiedenen organischen Lösungsmitteln unterscheiden kann.“

Die Forscher des Potsdamer Max-Planck-Instituts wollen ihr Material nun weiterentwickeln. Sie arbeiten etwa an einem Aktuator, der nicht durch ein Lösungsmittels motiviert wird, sondern durch Licht. Und auch darin sieht Jiayin Yuan nur eine der Chancen, die sein Forschungsgegenstand bietet: „Wir wollen zeigen, dass polyionische Flüssigkeiten Anwendungen ermöglichen, die mit anderen Materialien nicht denkbar sind.“

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Aktuelles // 17. Juli 2014

Mottenauge als Vorbild für Solarzellen

Weltweit forschen Wissenschaftler an Solarzellen, die die Photosynthese der Pflanzen nachahmen und aus Sonnenlicht und Wasser synthetische Brennstoffe wie Wasserstoff bilden. Empa-Forscher haben nun eine solche photoelektrochemische Zelle dem Mottenauge nachempfunden und dadurch die Lichtausbeute drastisch erhöht.

Eisenoxid, also Rost, könnte die Solartechnik revolutionieren: Aus dem – meist unerwünschten – Stoff lassen sich Photoelektroden herstellen, die Wasser spalten und dadurch Wasserstoff erzeugen. So wird Sonnenenergie nicht erst in Elektrizität, sondern direkt in einen wertvollen Brennstoff umgewandelt. Leider hat das Ausgangsmaterial so seine Tücken: Eisenoxid ist zwar unschlagbar billig und absorbiert genau in dem Wellenlängenbereich, in dem die Sonne am meisten Licht aussendet, doch es leitet elektrischen Strom sehr schlecht und muss daher immer in Form äußerst dünner Filme verarbeitet werden, damit die Wasserspaltung funktioniert. Der Nachteil: Diese dünnen Filme absorbieren zu wenig vom eingestrahlten Sonnenlicht.  

Mikrokügelchen fangen das Sonnenlicht ein  

Den Empa-Forschern Florent Boudoire und Artur Braun ist es nun gelungen, dieses Problem zu lösen: Eine spezielle Mikrostruktur der Photoelektrode fängt das Licht buchstäblich ein und lässt es nicht mehr heraus. Die Grundlage für diese innovative Struktur bilden winzige Partikel aus Wolframoxid, das wegen seiner satten, gelben Farbe ebenfalls für Photoelektroden benutzt werden kann. Die gelben Kügelchen werden auf einer Elektrode aufgetragen und dann mit einer hauchdünnen (nanoskaligen) Schicht Eisenoxid überzogen. Fällt von außen Licht auf die Partikel, wird es in innen mehrfach hin und her reflektiert. Schließlich ist alles Licht absorbiert, und die gesamte Energie steht für die Spaltung von Wassermolekülen zur Verfügung. Auf diese Weise erzeugt die Photozelle aus Wasser den ökologisch vorteilhaften Brennstoff Wasserstoff.  

Im Grunde funktioniere die neu erdachte Mikrostruktur wie das Auge einer Motte, erklärt Florent Boudoire: Die Augen von Nachtfaltern müssen viel Licht einsammeln – und dürfen so wenig wie möglich reflektieren, sonst wird der Falter entdeckt und gefressen. Die Mikrostruktur dieser Augen ist speziell auf die Wellenlänge des Lichts angepasst. Die Photozelle der Empa nutzt den gleichen Effekt.  

Um künstliche Mottenaugen aus Metalloxidkügelchen herzustellen, besprühte Florent Boudoire eine Glasscheibe mit einer Suspension aus Kunststoffpartikeln, die in ihrem Inneren jeweils ein Tröpfchen Wolframsalzlösung enthielten. Die Partikel bedecken das Glas wie eine Schicht Murmeln, die dicht aneinander liegen. Dann steckte er das Ganze in den Ofen; der Kunststoff verbrennt, und aus den einzelnen Tröpfchen der Salzlösung entstehen die gewünschten Wolframoxidkügelchen. In einem weiteren Sprühvorgang wird diese Struktur mit Eisensalz überzogen und erneut im Ofen erhitzt.  

«Einfangen des Lichts» am Computer simuliert  

Nun könnte man das Mixen, Sprühen und Brennen für reine Alchemie halten – für eine Versuchsreihe, die Zufallstreffer erzielt. Doch parallel zu ihren Experimenten haben die Forscher Modellrechnungen am Computer durchgeführt und das „Einfangen des Lichts“ in den Kügelchen am Computer simuliert. Das Ergebnis der Simulationen stimmte mit den Versuchen überein, wie Projektleiter Artur Braun bestätigt. Es ist klar zu erkennen, wie viel das Wolframoxid zum Photostrom beiträgt und wie viel das Eisenoxid. Und: je kleiner die Kügelchen sind, desto mehr Licht landet auf dem Eisenoxid, das die Kügelchen überdeckt. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher untersuchen, welche Effekte mehrere übereinander liegende Schichten von Kügelchen auslösen können. Die Arbeit an der Mottenaugen-Solarzelle geht also weiter.
Quelle: Empa

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Forschung // 14. Juli 2014

Superklebende Froschzungen

Klebrige Zungen erlauben es Fröschen, ihre Beutetiere zu fassen. Wissenschaftler des Instituts für Spezielle Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnten nun erstmals die dabei auftretenden Kräfte messen, mit denen Froschzungen an Oberflächen haften.

Südamerikanischen Schmuckhornfröschen (Gattung Ceratophrys) setzten die Kieler Forscher Insekten hinter einer Glasscheibe vor, welche mit einem Kraftsensor verbunden war. Beim Versuch die Beute zu fangen, hafteten die Zungen am Glas und die dabei auftretenden Kräfte wurden erfasst. Die Haftkräfte lagen dabei teilweise deutlich über dem Körpergewicht der Tiere. Ein Frosch könnte also theoretisch mit seiner Zunge ein Beutetier vom Boden heben, das schwerer ist, als der Frosch selbst. „Stellen sie sich einen 80 Kilogramm schweren Menschen vor, der über 110 Kilogramm in wenigen Millisekunden mit seiner Zunge vom Boden hebt“, verdeutlicht Dr. Thomas Kleinteich, Erstautor der Studie, die Leistungsfähigkeit von Froschzungen. Über den eigentlichen Haftmechanismus von Amphibienzungen ist bisher kaum etwas bekannt. „Man geht davon aus, dass der Schleim auf der Zungenoberfläche als eine Art Superkleber wirkt“, so Kleinteich weiter, „allerdings zeigen unsere Ergebnisse, dass höhere Haftkräfte auftreten, wenn nur wenig Schleim produziert wird.“

Kleinteich und Zweitautor Professor Stanislav N. Gorb gehen davon aus, dass außer dem Schleim die Beschaffenheit der Zungenoberfläche eine entscheidende Rolle bei der Haftung der Zunge spielt. Wie diese bei verschiedenen Froscharten aussieht, beschreiben Kleinteich und Gorb aktuell. Auch planen die Forscher, den Versuch zur Kraftmessung weiter zu verbessern, um die Haftkräfte nicht nur auf Glas, sondern auch auf natürlichen Beuteoberflächen zu messen. Langfristig soll es so möglich sein, den Haftmechanismus der Froschzungen aufzuklären und für technische Anwendungen zugänglich zu machen

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