Spinnenseide: Stärker als Stahl und elastischer als Nylon

Gewickelte Spinnenseide auf einem Rahmen aus Zahnarztdraht.

Best Practices // 31. Juli 2014

Spinnenseide: Stärker als Stahl und elastischer als Nylon

Bionik-Innovation
Spinnenseide weist eine einmalige Kombination aus extremer Festigkeit und hoher Dehnbarkeit auf. Jetzt ist es Forschern der Technischen Universität München (TUM) und ihre Ausgründung AMSilk gelungen, das Naturprodukt synthetisch herzustellen und unter dem Namen Biosteel® marktreif zu produzieren. Dadurch ergeben sich bahnbrechende Möglichkeiten für verschiedenste Bereiche der Industrie: Das neue Produkt ist 25 mal belastbarer als ein vergleichbarer Stahldraht und schlägt Nylon bei der Dehnbarkeit um Längen.

Technische Anwendung
Die synthetisch hergestellte Spinnenseide Biosteel® hat neben ihren einzigartigen Materialeigenschaften weitere Vorteile: Sie ist hautfreundlich, glänzt wie Seide, kann Wasser aufnehmen und ist reinweiß. Sie lässt sich genauso wie ihr natürliches Pendant verarbeiten und kann gefärbt werden. Anwendungsbereiche für das bionische Hightech-Material sind Hochleistungstextilien, Sportartikel oder Gewebeträgertextilien. Es ist aber auch für die Medizintechnik − vom chirurgischen Nahtmaterial über Wundauflagen bis hin zu Umhüllungen für Implantate − geeignet. Selbst im Militärbereich könnte sie in Minenschutz-Kleidung zum Einsatz kommen. Visionäre an der TU München denken sogar über eine Art Liftseil aus künstlicher Spinnenseide von der Erde zu Raumstationen im Weltall nach.

Bionisches Funktionsprinzip
Der Biochemiker Professor Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth hatte die Idee, die chemischen und mechanischen Prozesse bei der Erzeugung von Seidenfäden zu erforschen. Im Jahr 2008 gelang es mit Arbeitsgruppen von TUM-Professor Andreas Bausch und Horst Kessler erstmals, einen künstlichen Spinnkanal zu bauen. Zwei Jahre später entschlüsselten die Wissenschaftler die molekularen Grundlagen der Fadenproduktion und fanden 2011 die Gründe für die die enorme Festigkeit des Spinnenseidenfadens heraus. Danach gelang es dem Forscher- und Technikerteam, das Material synthetisch herzustellen. Da ein einzelner Spinnenseidenfaden extrem dünn und leicht ist, müssen Hunderte Fäden zusammengesponnen werden, um eine verwertbare Faser zu erzeugen.

Vorbild aus der Natur
Über Jahrmillionen haben Webspinnen ihre ganz spezielle Art des Beutefangs perfektioniert. Ihr Spinnennetz ist viermal belastbarer als ein Stahlfaden der gleichen Dimension und kann um das Dreifache gedehnt werden, ohne zu reißen. So kann das Netz der Wucht eines aufprallenden Beuteinsekts widerstehen. Die Spinnenseide ist leicht und wasserfest, kann aber dennoch so viel Wasser wie Wolle aufnehmen. Die Gartenkreuzspinne kann zum Beispiel sieben verschieden Fadenarten weben, die unterschiedlichen Funktionen dienen.

>> Zahlen <<

0,5 kg: Gewicht des Fadens einer Gartenkreuzspinne, der um die ganze Erde reicht.

>> Fortschritte <<

1884 wurde die Kunstseide erfunden. Seither hat die chemische Industrie immer neue Fasern auf den Markt gebracht. Vom Nylon in den 1930er-Jahren über Gewebe aus Acryl, PET und Aramiden bis hin zu den heute entwickelten Mikrofasern und Spezialgeweben aus Kohlenstoff oder sogar Glas. Die Spinnenseide ist ein weiterer Meilenstein in der Textilentwicklung.

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