„Schneckententakel“ gegen Wundliegen

Dekubitusmatte: Adaptives Lagerungssystem mit integrierter Sensorik und druckgesteuerter Steifigkeit.

Presse // 30. April 2013

„Schneckententakel“ gegen Wundliegen

Wie weich und elegant Schnecken ihre Fühler ausfahren können, begeistert nicht nur Kinder. Jetzt soll das Vorbild der Schneckententakel dabei helfen, Druckgeschwüre bei immobilen Patienten zu verhindern. In den Fachgebieten Mechanismentechnik und Biomechatronik der TU Ilmenau ist ein entsprechender mechanischer Protoytyp zur Dekubitusprophylaxe entwickelt worden.

„Wir haben dessen Funktionsfähigkeit schon nachgewiesen“, sagt Projektleiterin Professor Lena Zentner. „So können Menschen indirekt von den Schnecken profitieren.“ Das ist ein Beispiel für Bionik. Die Querschnittswissenschaft vereint Biologie und Technik. Im Mittelpunkt steht das Lernen von der Natur, deren Funktionsprinzipien in Milliarden Jahren evolutionärer Entwicklung optimiert wurden und Ideengeber für nachhaltige und innovative Anwendungen sind.  

In diesem Fall geht es um das Problem des Wundliegens vorübergehend bewegungsloser Kranker, was nicht nur bei den Betroffenen und ihren Angehörigen für einen Verlust von Lebensqualität sorgt. Auch der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland ist durch Therapiekosten von bis zu 50.000 Euro pro Kopf mit insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro jährlich immens.  

Das zeigt, dass herkömmliche Methoden zur Behandlung nicht ausreichen. Ziel des Projektes „Adaptives Gewebe“ war es daher, ein anpassungsfähiges Lagerungssystem für Patienten mit fehlender Eigenbewegung zu entwickeln. Es sollten nachgiebige und aktive Strukturen verwendet werden, die durch Stimulation der Blutversorgung des Gewebes sowie Entlastung langzeitbeanspruchter Gewebepartien die Entstehung von Druckgeschwüren vermindern oder ganz verhindern können.  

Die Idee für den Bau des Demonstrators fanden die Forscher aus Thüringen dabei bei der Weinbergschnecke. Deren Tentakel bilden im eingefahrenen Zustand eine nahezu ebene Oberfläche, beim Ausfahren wird eine Hubbewegung bei gleichzeitig erhaltener Nachgiebigkeit erzeugt. Durch Druckveränderung im Inneren der Fühler wird Bewegung erzeugt.  

Diese Funktionsweise der Natur wurde in Ilmenau mit einer aktiven Matte mit neun nachgiebigen Silikonstrukturen nachgebaut. Der Hub und die Steifigkeit der einzelnen Module kann durch die Änderung des Innendrucks per Druckluftzufuhr gesteuert werden. Sensoren messen den Druck des Patienten auf jede nachgiebige Struktur, damit diese entsprechend pneumatisch verändert werden kann. Damit wird die Belastung betroffener Körperpartien und Hautstellen so gering wie möglich gehalten.      

In entsprechenden Tests wurde die Funktionsfähigkeit des Prototypen nachgewiesen, in weiteren Versuchen soll das Prinzip bis zur Serienreife perfektioniert werden. Bewegungsunfähige Patienten in Krankenhäusern und Altenheimen können also darauf hoffen, dass ihnen mechanische Schneckententakel bald Linderung bringen.  

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