Auf dem Weg zur idealen Stromlinienform – das Pinguin-Prinzip

Best Practices // 31. Juli 2014

Auf dem Weg zur idealen Stromlinienform – das Pinguin-Prinzip

Bionik-Innovation
Fortbewegung mit geringstem Widerstand und minimaler Energiezufuhr: Spindelförmige Strömungskörper nach dem Vorbild von Pinguinen setzen neue Maßstäbe der Aerodynamik. Im Wasserkanal erzielen solche Rotationskörper Widerstandsbeiwerte von 0,02 cw. Zum Vergleich: Bei Autos liegen die durchschnittliche cw-Werte zwischen 0,25 bis 0,5, bei U-Boote betragen sie etwa 0,1. Bei entsprechender aerodynamischer Anpassung − etwa bei einem Luftschiff − lässt sich eine Treibstoffersparnis von bis zu 30 Prozent erzielen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam um den Berliner Biologen und Evolutionstechniker Dr. Rudolf Bannasch von hat Adélie-Pinguine aus der Antarktis umfangreich vermessen und mit Rechenmodellen, welche die Evolution im Zeitraffer abbilden, einen idealtypischen Strömungskörper entwickelt. Sie dienen als Blaupause für verschiedenste Fortbewegungsmittel, deren Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit in besonderer Weise aktuell und in Zukunft gefordert ist. Dazu zählen unter anderem Unterwasserroboter, U-Boote, Unterseetanker, Luftschiffe oder Trägerraketen – „auch Autos, Lkw, Züge oder Flugzeuge“, so Bannasch, „werden langfristig an der Pinguin-Form nicht vorbeikommen.“

Bionisches Funktionsprinzip
Über der wellenförmigen Pinguinkontur – vom spitzen Schnabel über den dicken Kopf und den schmalen Hals zum voluminösen Rumpf – wird die Verdrängungsströmung nicht in einem Rutsch beschleunigt, sondern in Etappen. Der Wechsel von Druck und Entspannung reduziert den Gesamtwiderstand. Anders als beispielsweise bei Fischen, Robben und Delfinen, die ebenfalls einen langgestreckten, stromlinienförmigen Körperbau aufweisen, sticht die Körperform des Pinguins als technisches Vorbild für Fahrzeuge hervor, weil dessen Rumpf unter Wasser relativ starr bleibt. Pinguine beschränken sich weitgehend auf das Paddeln mit ihren Flossen, während die meisten anderen Wassertiere Bewegungen des gesamten Rumpfs zur Fortbewegung nutzen.

Nach diesem Prinzip stellt das Bionikforscherteam von Dr. Bannasch an der Drehbank einen idealisierten Pinguin her, bei dem weder Flügel noch Füße die Symmetrie stören. Das Ergebnis ist eine Spindel, die auf der Vorderseite wellenförmig dicker wird und nach hinten spitz ausläuft. Dieser Rotationskörper erzielt einen cw-Wert von 0,02. Die natürlichen Vorbilder erzielen 0,03.

Vorbild aus der Natur
Adélie-Pinguine aus der Antarktis werden etwa 55 Zentimeter groß. Im Wasser sind sie auf die polaren Lebensumstände extrem angepasste Lebewesen, die pro Tag eine Strecke von mehr als 100 Kilometern zurücklegen. Die extreme Kälte und das knappe Nahrungsangebot erfordern einen sehr effizienten Umgang mit den Energieressourcen ihrer Körper. Gerade einmal ein Kilogramm Krill (Kleinkrebse) verbrennt ein Adelie-Pinguin auf einer Strecke von 100 Kilometern. Mit der Energie aus einem Liter Benzin käme er umgerechnet 1.500 Kilometer weit. Messungen im Schwimmtank ergaben: Bei normalem Reisetempo verbrauchen Adélies gerade einmal 60 Watt – so viel wie eine einfache Glühbirne. Mit einer Magensonde erfassen die Forscher, wann die Pinguine fressen und wie viel. Hauptnahrungsmittel ist Krill, mit einem Brennwert von 3.700 Kilojoule je 1.000 Gramm. Damit kommt ein Adélie wie oben erwähnt 100 Kilometer weit.

>> Zahlen <<

11 km/h: durchschnittliche Geschwindigkeit von Adélie-Pinguinen unter Wasser
25 km/h: Sprintgeschwindigkeit
8,3 km/h: Sprintgeschwindigkeit von Alexander Popow, Weltrekordhalter über 50 Meter Freistil

>> BIOKON-PROFIL <<

Dr. Rudolf Bannasch, Polarbiologe und Bioniker, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genialen Erfindungen der Natur. Eines sehr Spezialgebiete, die strömungsgünstige Körperform von Pinguinen, zählt mittlerweile zu den Klassikern der Bionik. Sie war für ihn Vorbild für den Bau von Unterwasserfahrzeugen. In seiner eigens gegründeten Firma EvoLogics GmbH arbeitet Bannasch an der Realisierung von weiteren bionisch inspirierten technischen Anwendungen.

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