Best Practices // 1. August 2014
Antifouling: Künstliche Haihaut soll Millionen Tonnen Treibstoff sparen helfen
Bionik-Innovation
Algen, Seepocken und Muscheln gehören zu den größten Problemen der Seeschifffahrt. Sie bewachsen Schiffsrümpfe − dieses Phänomen wird Fouling genannt − und sorgen somit über einen höheren Strömungswiderstand für eine rasante Erhöhung des Treibstoffverbrauchs. Ausgerechnet der Hai – einer der gefährlichsten Räuber der Erde – hilft als Vorbild nun bei der Rettung der Natur. Ein von Bionikern entwickelter giftfreier Antifouling-Anstrich nach dem Vorbild der Haihaut kann Millionen Tonnen Treibstoff sparen helfen. Damit würde man für eine riesige Emissions- und damit Kostenersparnis sorgen − und gleichzeitig die bisher als Antifouling-Anstrich eingesetzten umweltschädigenden TBT − und Kupferverbindungen unnötig machen.
Technische Anwendung
Bioniker der Hochschule Bremen unter Leitung von Professorin Antonia B. Kesel entschlüsselten den Bauplan der künstlichen Haihaut und entwickelten daraus einen Silikonanstrich. Er vermindert den unerwünschten Unterwasserbewuchs um bis zu 70 Prozent. Viele Sportbooteigner haben das neue Produkt bereits erfolgreich getestet, für den Einsatz in riesigen Frachtern wird das Produkt derzeit noch weiterentwickelt. Die „künstliche Haihaut“ kommt auch in anderen Bereichen zum Einsatz – hier vor allem wegen ihrer günstigen Strömungseigenschaften. Ein mit einer sogenannten Riblet-Folie ausgestattete Boot triumphierte 2010 beim berühmten America’s-Cup der Segler. Auch bei Flugzeugen brachte der Testeinsatz der „Haihaut“ eine signifikante Treibstoffersparnis. Auch an Lacken mit Nanopartikeln, die der Haihaut ähneln, wird geforscht.
Bionisches Funktionsprinzip
Die Haihaut ist rau und mit winzigen kleinen Zähnchen besetzt. Die spitzen Placoidschuppen der Haie verhindern die Anhaftung von Organismen. Sie sind beweglich gelagert und können sich gegen- und übereinander verschieben. So halten sich Haie Parasiten vom Leib. Zugleich haben Haie feine Rillen in den Schuppen, die nicht nur den Strömungswiderstand im Wasser vermindern sondern auch verhindern, dass sich Seepocken ankleben können. Aus dem Bauplan der Haihaut-Zähnchen wurde die künstliche Silikonhaut entwickelt.
Vorbild aus der Natur
Der Hai ist einer der gefürchtetsten Raubfische der Meere. Es gibt über 500 Arten, die teilweise extrem unterschiedlich sind. Die bis zu 14 Meter langen und 12 Tonnen schweren Walhaie ernähren sich beispielsweise nur von Plankton. Die Sinnesorgane sind hochentwickelt – die Augen sind zehnmal lichtempfindlicher als die der Menschen, Beute kann schon aus 75 Metern Entfernung gewittert werden. Der Makohai erreicht im Wasser Geschwindigkeiten von bis zu 70 Stundenkilometern – auch wegen ihrer durch die Evolution perfektionierten Haut.
>> Zahlen <<
70 Prozent beträgt die Verminderung des Unterbewasserbewuchses durch künstliche Haihaut.
>> BIOKON-PROFIL <<
Professorin Antonia B. Kesel ist Gründerin und Leiterin des Bionik-Innovations-Centrums (B-I-C) der Hochschule Bremen. Das B-I-C koordiniert die Forschung im Grundlagen- und Anwendungsbereich. Weiterhin stützt und moderiert das Institut den Technologietransfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft, nicht zuletzt im Rahmen der nationalen und internationalen Vernetzung unterschiedlichster Akteure. Dem B-I-C ist es gelungen, in einem relativ kurzen Zeitraum, sich als feste Größe in der deutschen Bionik-Landschaft zu etablieren.
Antonia Kesel ist Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Technische Biologie und Bionik GTBB und selbstverständlich ist sie Mitglied im Bionik-Kompetenznetz BIOKON, dessen Vorstand sie seit 2006 angehört, seit 2013 als Vorstandsvorsitzende.