Neuer keramischer Werkstoff − Perlmutt stand Pate

Perlmutt – das Baumaterial von Muscheln.

Forschung // 20. Juni 2014

Neuer keramischer Werkstoff − Perlmutt stand Pate

Keramische Werkstoffe sind in der Regel äußerst fest und hart und halten hohen mechanischen Druck sowie große Hitze aus. Für viele Anwendungen sind sie deshalb das Konstruktionsmaterial der Wahl. Anders als Metalle sind keramische Werkstoffe spröde – bei ungünstiger Belastung kann es deshalb zu einem Bruch kommen, der das ganze Werkstück zerstört. Sylvain Deville von der Université Lyon und seine Kollegen ist es nun gelungen, ein neuartiges keramisches Material zu entwickeln, das diesen Nachteil überwindet. Es ist nach dem Vorbild von natürlichem Perlmutt geschaffen, wie sie in der Zeitschrift „Nature Materials“ berichten.

Perlmutt fasziniert nicht nur durch seinen irisierenden Glanz, sondern es zeichnet sich durch seine hohe mechanische Stabilität, dank einer Art Ziegel-und-Mörtel-Struktur. Es besteht zu über 95 % aus dem Mineral Calciumcarbonat und bis zu fünf Prozent aus organischer Materie.
Der mineralische Anteil ist in gestapelten Plättchen angeordnet, zwischen den einzelnen Plättchen befindet sich die sogenannte organische Matrix. Perlmutt ist also ein typisches Verbundmaterial, das man sich modellhaft ähnlich wie eine Ziegelsteinmauer vorstellen kann. Bedingt durch das organische Material („Mörtel“) zwischen den harten, aber brüchigen Plättchen aus Calciumcarbonat („Ziegel“) können sich Risse nur unter hohem Energieaufwand ausbreiten. Es ist deshalb rund 3.000 mal so robust wie reines Calciumkarbonat. Unter dem Mikroskop erkennt man, dass ein Riss nicht einfach durch das Material hindurchläuft, sondern sich um die Plättchen herumwinden muss. Er folgt einem Zickzackweg, und seine Ausbreitung wird schließlich gestoppt. Ein katastrophales Versagen, wie man es von Keramik kennt, tritt nicht auf.

Nach dem Vorbild des Biominerals Permutt haben die französischen Forscher nun eine Aluminiumoxid-Keramik hergestellt. Dafür nutzten sie ein spezielles Gefrierverfahren. Zunächst wurden winzige Aluminiumoxidplättchen mit einem Durchmesser von sieben Mikrometern in Wasser suspendiert. Die vorgekühlte Mischung ließ man über eine Kühlplatte fließen, woraufhin die Suspension erstarrte und sich die Plättchen zwischen den wachsenden Eiskristallen parallel zur Fließrichtung ausrichteten. Als Zusatz enthielt die Suspension Calciumoxid- und Siliziumdioxid-Partikel, die sich beim Gefrieren um die Plättchen herum verteilten. Das erstarrte Material wurde anschließend gefriergetrocknet, wodurch alle Eiskristalle aus dem Material entfernt wurden, stark komprimiert, um zurückbleibende Hohlräume zu entfernen, und dann auf 1.500 Grad Celcius erhitzt. Bei diesem abschließenden Sintern entstand aus den zusätzlichen Oxidpartikeln eine Glasphase, welche die Aluminiumoxidplättchen umhüllt. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen, dass die Struktur dieser Keramik sehr jener von Perlmutt ähnelt.

Die mechanischen Eigenschaften der neuen Keramik sind bemerkenswert: Das Material ist zehnmal so fest wie normale Aluminiumoxid-Keramik und gleichzeitig äußerst zäh. Bruchversuche zeigen, dass diese sich nicht glatt durch die Keramik hindurchziehen, sondern mehrfach abgelenkt werden, bis sie schließlich enden. Wird der neuartige Keramikwerkstoff erhitzt, so hält er einer Temperatur von mindestens 600 Grad Celcius stand. Damit ist das Perlmutt-Imitat offenkundig anderen keramischen Kompositmaterialien überlegen, die beispielsweise Polymere enthalten und deshalb in ihrer Einsatztemperatur deutlich begrenzt sind.

Das Forscherteam um Deville ist überzeugt, dass eine industrielle Umsetzung leicht möglich sein sollte, weil für den Herstellungsprozess der Keramik gängige und wenig aufwendige Techniken verwendet werden. Zudem ist das Verfahren für verschiedene Ausgangsstoffe geeignet und nicht auf Aluminiumoxid beschränkt. Es können demnach eine ganze Reihe leichter, fester und bruchzäher keramischer Werkstoffen nach dem Vorbild von Perlmutt erwartet werden.

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