BIOKON – Das Bionik-Kompetenznetz

Best Practices

„I think the biggest innovations of the 21st century will be at the intersection of biology and technology. A new era is beginning.”
Steve Jobs, Apple Gründer

Die Innovationskraft der Bionik entspringt aus dem nahezu grenzenlosen Pool an biologischen Vorbildern für spezifische Antworten auf technische Fragestellungen. In beeindruckender Vielfalt schafft die Natur Inspirationen für technische Entwicklungen, die Marktrelevanz in den unterschiedlichsten Branchen haben.

Hier haben wir Erfolgsbeispiele der Bionik zusammengestellt, die wir nach dem Schema (1) Bionik-Innovation, (2) Technische Anwendung, (3) Bionisches Funktionsprinzip und (4) Vorbild aus der Natur aufbereitet haben – unterstützt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Rahmen der Förderung unseres Bionik-Unternehmensforums.

Willkommen bei den Innovationen an der Schnittstelle von Biologie und Technik.

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Best Practices // 31. July 2014

Besser fliegen: Flugzeugflügel vom Steinadler abgeschaut

Bionik-Innovation
Tragflügel mit neuartigen Multiwinglets am Ende könnten die Luftfahrt in eine neue, treibstoffsparende Ära führen. Vorbild für die Entwicklung dieser an ihrem Ende mehrfach aufgebogenen Tragflächen waren unter anderem Steinadler, die beim Flug ihre Handschwingen aufspreizen. Dies bringt im Vergleich zum konventionellen Flügel eine um elf Prozent verbesserte Gleitzahl. Bei einem flächendeckenden Einsatz an Verkehrsflugzeugen könnten so weltweit Millionen Tonnen Treibstoff gespart werden – und damit neben dem Ressourcenschutz auch zur Umweltschonung und zum Erhalt der lebenswichtigen Ozonschicht beitragen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam vom Fachgebiet Bionik und Evolutionstechnik der TU Berlin um Professor Ingo Rechenberg beschäftigte sich mit dem Problem der Verminderung des sogenannten induzierten Strömungswiderstandes nach dem Vorbild der Natur. Dazu wurde in Windkanalexperimenten ein idealer Tragflügel mit Multiwinglets entwickelt. Er könnte in der Zukunft neue Maßstäbe in Bezug auf Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Energieeffizienz und damit auch Nachhaltigkeit setzen. Die Anwendung ist bei allen Flugzeugen denkbar – an Segelflugzeugen wurden bereits erste Prototypen getestet. An Verkehrsflugzeugen werden schon heute einfache Winglets eingesetzt, durch mehrfach aufgebogenen Multiwinglets könnte der Spareffekt noch vergrößert werden.

Bionisches Funktionsprinzip
Landvögel wie der Steinadler spreizen im Gleitflug ihre Handschwingen auf. Durch diesen Trick entstehen kleinere Wirbel als sie bei einem durchgängigen Flügel entstehen würden. Damit reduziert sich der induzierte Strömungswiderstand, da dieser vom Quadrat des Wirbeldurchmessers abhängt. So nimmt der Luftwiderstand ab, der Vogel spart Energie. Technisch betrachtet sind die Handschwingen am Flügelende widerstandsgünstige Mehrdecker, die über Millionen von Jahren perfektioniert wurden. Die TU Berlin führte im Windkanal Experimente mit einem Tragflügel durch, bei dem sich die Winglets einzeln einstellen ließen. Über die der Natur nachempfundene „Evolutionsstrategie“, mit der über Computersimulationen Verbesserungen und Optimierungen rechnerisch nachvollzogen werden, wurde schließlich der perfekte Flügel mit Multiwinglets entwickelt.

Vorbild aus der Natur
Seevögel wie der Albatros können auch deshalb Tausende Kilometer fliegen, weil sie durch langgestreckte Flügel und schmale Flügelenden einen niedrigen induzierten Strömungswiderstand haben und damit Energie sparen. Der Steinadler, der an Felsen oder in Höhlungen nistet, kann keine langgestreckten Flügel haben. Er reduziert seinen Randwiderstand durch die aufgestellten Handschwingen. So kann er auf der Suche nach Beute lange in der Luft kreisen, ohne häufig mit den Flügeln zu schlagen und Energie verbrauchen zu müssen. Steinadler haben bei einer Flügelspannweite von etwa zwei Metern elf Handschwingen.

>> Historisches <<

Am 16. August 1894 hob Otto Lilienthal mit seinem „Flug-Zeug“ ab: Sein Schlagflügelapparat hatte bereits aufgespreizte Flügelenden. Bis zum Multiwinglet war es ein weiter Weg, doch ein erster Schritt in die bionische Richtung war unbeabsichtigt vom Flugpionier bereits gemacht.

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Best Practices // 31. July 2014

Auf dem Weg zur idealen Stromlinienform – das Pinguin-Prinzip

Bionik-Innovation
Fortbewegung mit geringstem Widerstand und minimaler Energiezufuhr: Spindelförmige Strömungskörper nach dem Vorbild von Pinguinen setzen neue Maßstäbe der Aerodynamik. Im Wasserkanal erzielen solche Rotationskörper Widerstandsbeiwerte von 0,02 cw. Zum Vergleich: Bei Autos liegen die durchschnittliche cw-Werte zwischen 0,25 bis 0,5, bei U-Boote betragen sie etwa 0,1. Bei entsprechender aerodynamischer Anpassung − etwa bei einem Luftschiff − lässt sich eine Treibstoffersparnis von bis zu 30 Prozent erzielen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam um den Berliner Biologen und Evolutionstechniker Dr. Rudolf Bannasch von hat Adélie-Pinguine aus der Antarktis umfangreich vermessen und mit Rechenmodellen, welche die Evolution im Zeitraffer abbilden, einen idealtypischen Strömungskörper entwickelt. Sie dienen als Blaupause für verschiedenste Fortbewegungsmittel, deren Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit in besonderer Weise aktuell und in Zukunft gefordert ist. Dazu zählen unter anderem Unterwasserroboter, U-Boote, Unterseetanker, Luftschiffe oder Trägerraketen – „auch Autos, Lkw, Züge oder Flugzeuge“, so Bannasch, „werden langfristig an der Pinguin-Form nicht vorbeikommen.“

Bionisches Funktionsprinzip
Über der wellenförmigen Pinguinkontur – vom spitzen Schnabel über den dicken Kopf und den schmalen Hals zum voluminösen Rumpf – wird die Verdrängungsströmung nicht in einem Rutsch beschleunigt, sondern in Etappen. Der Wechsel von Druck und Entspannung reduziert den Gesamtwiderstand. Anders als beispielsweise bei Fischen, Robben und Delfinen, die ebenfalls einen langgestreckten, stromlinienförmigen Körperbau aufweisen, sticht die Körperform des Pinguins als technisches Vorbild für Fahrzeuge hervor, weil dessen Rumpf unter Wasser relativ starr bleibt. Pinguine beschränken sich weitgehend auf das Paddeln mit ihren Flossen, während die meisten anderen Wassertiere Bewegungen des gesamten Rumpfs zur Fortbewegung nutzen.

Nach diesem Prinzip stellt das Bionikforscherteam von Dr. Bannasch an der Drehbank einen idealisierten Pinguin her, bei dem weder Flügel noch Füße die Symmetrie stören. Das Ergebnis ist eine Spindel, die auf der Vorderseite wellenförmig dicker wird und nach hinten spitz ausläuft. Dieser Rotationskörper erzielt einen cw-Wert von 0,02. Die natürlichen Vorbilder erzielen 0,03.

Vorbild aus der Natur
Adélie-Pinguine aus der Antarktis werden etwa 55 Zentimeter groß. Im Wasser sind sie auf die polaren Lebensumstände extrem angepasste Lebewesen, die pro Tag eine Strecke von mehr als 100 Kilometern zurücklegen. Die extreme Kälte und das knappe Nahrungsangebot erfordern einen sehr effizienten Umgang mit den Energieressourcen ihrer Körper. Gerade einmal ein Kilogramm Krill (Kleinkrebse) verbrennt ein Adelie-Pinguin auf einer Strecke von 100 Kilometern. Mit der Energie aus einem Liter Benzin käme er umgerechnet 1.500 Kilometer weit. Messungen im Schwimmtank ergaben: Bei normalem Reisetempo verbrauchen Adélies gerade einmal 60 Watt – so viel wie eine einfache Glühbirne. Mit einer Magensonde erfassen die Forscher, wann die Pinguine fressen und wie viel. Hauptnahrungsmittel ist Krill, mit einem Brennwert von 3.700 Kilojoule je 1.000 Gramm. Damit kommt ein Adélie wie oben erwähnt 100 Kilometer weit.

>> Zahlen <<

11 km/h: durchschnittliche Geschwindigkeit von Adélie-Pinguinen unter Wasser
25 km/h: Sprintgeschwindigkeit
8,3 km/h: Sprintgeschwindigkeit von Alexander Popow, Weltrekordhalter über 50 Meter Freistil

>> BIOKON-PROFIL <<

Dr. Rudolf Bannasch, Polarbiologe und Bioniker, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genialen Erfindungen der Natur. Eines sehr Spezialgebiete, die strömungsgünstige Körperform von Pinguinen, zählt mittlerweile zu den Klassikern der Bionik. Sie war für ihn Vorbild für den Bau von Unterwasserfahrzeugen. In seiner eigens gegründeten Firma EvoLogics GmbH arbeitet Bannasch an der Realisierung von weiteren bionisch inspirierten technischen Anwendungen.

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Best Practices // 31. July 2014

Ein „Elefantenrüssel“ sorgt für die sichere Interaktion zwischen Mensch und Maschine

Bionik-Innovation
Roboter agieren meist ruckartig. Bewegung in der Natur vollzieht sich hingegen flüssig, und hier setzen einige Produkte der bionischen Forschung an. Der Elefantenrüssel wird vor diesem Hintergrund beim Projekt „BROMMI:TAK“ als multifunktionales Meisterwerk zum Vorbild für den Bau von bionischen Robotern. Diese zeichnen sich durch ein gutes Masse-Leistungs-Verhältnis aus, welches die Handhabung von hohen Lasten bei einer geringen Eigenmasse ermöglicht. Vor allem aber wird die Sicherheit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine entscheidend erhöht.

Technische Anwendung
Beim BMBF finanzierten „Elefantenprojekt“ werden in Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität Berlin, dem Fraunhofer-Institut IFF und der Festo AG die hochflexiblen und sicheren Bewegungsmöglichkeiten des Rüssels technisch nachgestellt. Die mit einem Kamerasystem und einer Bildverarbeitung ausgestatteten Roboter können Objekte in einem Pick-and-Place-Szenario gezielt aufnehmen und ablegen. Der rüsselähnliche Roboterarm hat im Unterschied zu herkömmlichen Varianten keine Klemm- oder Scherstellen, aus denen ein hohes Verletzungsrisiko für den Menschen hervorgeht. Die weitere Risikominderung entsteht durch das natürlichere Bewegungsverhalten. „Neben der industriellen Produktion ermöglicht ihre hohe Sicherheit die Erschließung neuer Anwendungen wie beispielsweise im Pflege-, Domestik- und Life-Science-Bereich“, sagt Projektchef Dr. Ivo Boblan von der TU Berlin.

Bionisches Funktionsprinzip
Der ausschließlich aus Muskeln bestehende Elefantenrüssel ist wegen seiner Beweglichkeit ein Multitalent. Auch der an diese Funktionsweise angelehnte Roboterarm wird ausschließlich mit pneumatischen „Muskeln“ betrieben und ist aus mehreren Einzelmodulen zusammengesetzt. Jedes dieser Einzelmodule verfügt über zwei Bewegungsfreiheitsgrade und kann wie bei einem Schultergelenk Beugungen ausführen. Der Roboterarm BROMMI:TAK kann somit wie ein Elefantenrüssel gebeugt, angehoben und gedreht werden. Er ist im Aktionsraum frei positionierbar.
Eine zentrale Steuerung und dezentrale Antriebsregler bilden die Kernelemente der Roboter-Lenkung. Über einen Hauptrechner werden alle Geschwindigkeits- und Positionsergebnisse online berechnet. Eine integrierte Bildverarbeitung und eine zusätzliche Differenzenregelung kompensieren zudem etwaige Positionsfehler.

Vorbild aus der Natur
Elefanten sind die größten auf der Erde lebenden Landtiere, sie können über vier Meter groß und zehn Meter lang werden. Ihr Rüssel ist ein über Jahrmillionen Evolutionsgeschichte entwickeltes Multitalent, das wegen seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten an die menschliche Hand erinnert. Eigentlich ist es eine verlängerte Nase, mit der der Elefant aber eben auch greifen, Wasser aufnehmen oder kämpfen kann. Mit Hilfe des Rüssels können Elefanten auch Äste und Pflanzen aus bis zu sieben Meter Höhe erreichen.

>> Zahlen <<

40.000: ungefähre Zahl der Muskeln im Elefantenrüssel.
10 Liter: so viel Wasser kann ein Elefant mit einem Zug in seinem Rüssel aufnehmen.

>> Glossar <<

Das Akronym BROMMI steht „Bionische Rüsselkinematik für sichere Roboteranwendungen in der Mensch-Maschine-Interaktion“. Der Zusatz TAK („Tripedale Alternanzkaskade“) weist darauf hin, dass der Roboter ausschließlich durch fluidische Muskeln betrieben wird.

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Best Practices // 31. July 2014

Lotus-Effekt lässt Metallprodukte länger leben

Bionik-Innovation
Hier haften nicht einmal Honig oder Schneckenschleim: Antiadhäsive Beschichtungen mit dem einst von Professor Wilhelm Barthlott für die Technik nutzbar gemachten Lotus-Effekt erhöhen die Lebensdauer von Metalloberflächen. Durch die Entschlüsselung der Nano- und Mikrostruktur pflanzlicher und tierischer Vorbilder eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für die Industrie. Die innovativen Produkte weisen minimierte Kontaktflächen zu anderen Materialien auf und sind zudem mit wasserabweisenden Stoffen wie Fluorpolymeren oder Silikon bestückt.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam des Instituts für Botanik der TU Dresden entschlüsselt in Verbindung mit weiteren Projektpartnern die Nano- und Mikrostrukturen pflanzlicher Vorbilder mit antiadhäsiven Oberflächen wie der Lotusblume. So werden dauerhaftere Beschichtungen mit antiadhäsiven und hydrophoben Eigenschaften zur Verlängerung der Lebensdauer von Materialien wie Edelstahl oder Aluminium entwickelt. Die technischen Anwendungen in der Industrie sind extrem vielfältig: Sie reichen von Korrosionsschutzschichten, über Antihaftbeschichtungen von Farbwannen oder Druckereiwalzen bis hin besser zu reinigenden Beschichtungen. Bei energieeffizienten Prozessen können antistatische Eigenschaften der neuen Materialien von großem Nutzen sein.

Bionisches Funktionsprinzip
Natürliche Oberflächen erreichen durch ihre vielfältige Mikrostrukturierung in der Längenskala zwischen 10 nm und etwa 100 µm in vielfachen Kombinationen eine herausragende Erhöhung der Antihaft-Eigenschaften. Diese Strukturen werden technisch bei teuren Werkstoffen wie Edelmetallen oder Aluminium nachgebaut. Eine Mikrostrukturierung dieser Materialien durch Sandstrahlen oder Flammspritzen mit anschließender Nanostrukturierung durch elektrochemische Behandlung sorgen für eine spezielle Oberflächenstruktur, an der nicht einmal hochviskose Flüssigkeiten haften. Als Beschichtung dienen Fluorpolymere oder ähnliche Materialien mit niedriger Oberflächenenergie und ausreichender chemischer sowie mechanischer Stabilität wie zum Beispiel Silikon.

Vorbild aus der Natur
Die Lotusblume verfügt über außergewöhnliche, antiadhäsive Eigenschaften. Erreicht werden diese durch eine Verbindung aus einer Nanostruktur und speziellem Wachs auf der Pflanzenoberfläche. So wird die Kontaktfläche zwischen Wasser und Oberfläche drastisch reduziert. Ein Wassertropfen hat auf der Lotusblume nur eine Auflagefläche von 0,6 Prozent – das ist ein Rekord im Reich der Natur. Das Wasser perlt ab und nimmt dabei noch den Schmutz und andere Stoffe mit. Die biologische Bedeutung des Lotuseffekts liegt im Schutz vor einer Besiedlung durch Mikroorganismen, Krankheitserreger oder Keime oder vor Bewuchs mit Algen. Ähnliche Systeme gibt es auch bei anderen Pflanzen und Tieren.

>> Info <<

Sauber!
Wegen ihrer Fähigkeit Schmutz abzuweisen gilt die Lotusblume in weiten Kreisen Asiens als Symbol der Reinheit, Treue, Schöpferkraft und Erleuchtung und wird als Symbol sowohl im Buddhismus wie Hinduismus aufgegriffen.

>> BIOKON-PROFIL <<

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott ist einer der Pioniere der biologischen und technischen Grenzflächenforschung. Er studierte Biologie, Chemie und Physik an der Universität Heidelberg. Nach seiner Habilitation bekam er einen Ruf an die Freie Universität Berlin, die er nach drei Jahren wieder verließ, um von 1985 bis 2002 als Professor und Direktor am Botanischen Institut und des Botanischen Gartens der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig zu sein. 2003 gründete er das Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Nach seiner Emeritierung leitet er weiter die Forschungsstelle „Biodiversität im Wandel“, ein Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz und des Landes Nordrhein-Westfalen.

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Best Practices // 31. July 2014

Greifen mit dem Fischflossen-Effekt

Bionik-Innovation
Adaptive Greifer mit dem Fin Ray Effect® setzen neue Maßstäbe. Sie passen sich der Kontur des zu greifenden Teils an – und können deshalb multifunktional eingesetzt werden. Dadurch wird sicheres und zerstörungsfreies Greifen selbst von leicht zerbrechlichen oder unregelmäßig geformten Werkstücken möglich. Zugleich sorgt das gegenüber vergleichbaren Seriengreifern um 80 Prozent niedrigere Gewicht für Materialersparnis und Ressourcenschonung.

Technische Anwendung
Der von der Festo AG entwickelte bionische Greifer DHDG bietet herausragende Einsatzmöglichkeiten zum Beispiel in einer Sortier- und Umsetzanlage von zerbrechlichen Schokoladeneiern. „Die flexible Struktur des adaptiven Greifers macht es sogar möglich, die Überraschungseier zu greifen, wenn sie geneigt oder nicht richtig positioniert sind“, sagt Ingenieur Federico Nardone vom italienischen Systemintegrator FluidoDinamica. Der adaptive Greifer ist deswegen für die Lebensmittelindustrie genauso geeignet wie beispielsweise für Sortierarbeiten von unregelmäßigen und empfindlichen Produkten wie Eier, Blumenzwiebeln oder Früchten. Auch im Maschinenbau oder bei Hilfs- und Unterstützungsarbeiten im Gesundheitsweisen kann der bionische Greifer neue Horizonte in der Anwendung erschließen.

Bionisches Funktionsprinzip
Fischflossen verhalten sich unter seitlicher Druckeinwirkung unerwartet. Drückt man zum Beispiel mit dem Finger leicht gegen die Schwanzflosse einer Forelle, so knickt diese nicht in Druckrichtung weg, sondern die Flosse bewegt sich entgegen der Druckrichtung zum Finger hin. Diesen Effekt bezeichnet man als Fin Ray Effect®. Entdeckt wurde er vom Berliner Bioniker Leif Kniese im Jahr 1997 im Angelurlaub. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Rudolf Bannasch entschlüsselte er die Wirkungsweise im Labor und meldete sie zum Patent an. Der Effekt beruht auf der Struktur der einzelnen Flossenstrahlen und wird in der Technik inzwischen vielfältig verwendet. Setzt man technische Flossenstrahlen zusammen, entsteht eine adaptive Zange. Der adaptive Greifer DHDG besteht aus einem pneumatischen Antrieb sowie drei Greiffingern mit dem Fin Ray Effect®.

Vorbild aus der Natur
Die Schwanzflossen der Knochenfische wurden im Lauf der Evolution auf seitliche Druckeinwirkung optimiert. Durch den Aufbau der Flossenstrahlen aus zwei Längsstrahlen und dazwischenliegendem Bindegewebe kann die Flosse eine kellenförmige Gestalt annehmen. In dieser „Kelle“ kann ein Wasservolumen eingeschlossen und nach hinten beschleunigt werden. Dadurch bewegt sich der Fisch hocheffizient nach vorne.

>> Zahlen <<

0,1 mm
dünne Schichten aus Polyamidpulver werden für den FinGripper im Selective Laser Sintering Verfahren nacheinander aufgetragen und zu einem festen Bauteil ausgehärtet.
Diese Bauweise ermöglicht die Reduktion des Gewichts an der Werkzeugaufnahme um 90% gegenüber einem herkömmlichen Greifer aus Metall.

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Best Practices // 31. July 2014

Unterwassermodems: Datenübertragung nach Delfin-Art

Bionik-Innovation
„Es ist kurios, dass wir solch hoch entwickelte Technologien haben, aber unter Wasser buchstäblich Funkstille herrscht.“ Mit dieser Feststellung wollte sich der Biologe und Unternehmer Dr. Rudolf Bannasch nicht zufriedengeben – und entwickelte in seiner Firma EvoLogics GmbH ein Unterwassermodem nach Delfin-Vorbild.
Damit können unter Wasser bei einer Reichweite von zwei Kilometern etwa 2.560 Byte pro Sekunde übertragen werden. Das ist knapp ein Drittel so viel wie bei einer ISDN-Leitung. Bisher müssen zum Beispiel U-Boote mehr Hundert Meter lange Drähte als Antennen hinter sich herziehen, um einfache Nachrichten empfangen zu können. Gesendet werden kann damit nicht.

Technische Anwendung
Rudolf Bannasch beobachtete die Kommunikation der Delfine − und entschlüsselte die Wirkungsweise ihres „Gesangs“. Physikalisch ist die Kommunikation unter Wasser so anspruchsvoll, weil die Echos von Schallwellen das ursprünglich ausgesendete Signal überlagern und unverständlich machen. Doch das neue Unterwassermodem nach Delfin-Vorbild ermöglicht nun eine zuverlässige Signalübertragung. Die denkbaren Anwendungen der neuen Technologie sind breit gefächert − und das nicht nur in U-Booten. Messsonden, Unterwasser-Roboter und vielfältige andere Gerätschaften der Meeresforschung, Umweltüberwachung und Off-Shore-Industrie (z.B. Ölförderindustrie und Windparks) könnten auch bei starkem Rauschen zuverlässig gesteuert und ganze Unterwasser-Datennetzwerke aufgebaut werden. Im deutschen Tsunami-Frühwarnsystem sorgen solche Spezialmodems für die Datenverbindung zwischen Bodenstation (bis 6.000 Meter Tiefe) und der Satellitenboje an der Oberfläche. Das System wird derzeit im Indischen Ozean erprobt.

Bionisches Funktionsprinzip
Bei einem Besuch am Schwarzen Meer beobachte Bannasch, dass Delfine ihre Bewegungen selbst in einem Becken mit zahllosen Echos perfekt koordinieren können. Er entschlüsselte das Geheimnis ihrer ausgefeilten Signaltechnik. „Konstante Töne gibt es bei den Delfinen nicht – sie tirilieren, pfeifen und zwitschern. Das ist der wichtigste Unterschied.“ Durch die ständige Änderung der Sprachfrequenz verhindern die Delfine, dass sich Signal und Echo stören. Andere Delfine können diese Signale trennen und entschlüsseln. Die von den Tieren erzeugten Laute haben Obertöne, deren Frequenz ein ganzzahliges Vielfaches des Grundtons ist. So etwas gibt es auch bei digital modulierten Signalen, wodurch größere Datenmengen übertragen werden können.

Vorbild aus der Natur
Delfine gehören zur Gruppe der Wale und gelten als die lernfähigsten und intelligentesten Tiere. Deshalb faszinieren sie die Menschen schon seit Jahrtausenden und wurden sogar lange als heilig verehrt. Die Meeressäuger sind sehr soziale Tiere, die teilweise in größeren Gruppen zusammenleben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kommunikation, die neben verschiedensten Lauten auch über direkten Körperkontakt funktioniert. Wegen ihrer Verspieltheit und Empathie werden Delfine therapeutisch bei der Heilung von kranken Menschen eingesetzt. Ihre außergewöhnliche Lernfähigkeit nutzen aber auch Militärs in den USA und Russland, um Seeminen an feindlichen Schiffen anzubringen oder Minen zu entschärfen.

>> BIOKON-PROFIL <<

Dr. Rudolf Bannasch, Polarbiologe und Bioniker, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genialen Erfindungen der Natur. Eines sehr Spezialgebiete, die strömungsgünstige Körperform von Pinguinen, zählt mittlerweile zu den Klassikern der Bionik. Sie war für ihn Vorbild für den Bau von Unterwasserfahrzeugen. In seiner eigens gegründeten Firma EvoLogics GmbH arbeitet Bannasch an der Realisierung von weiteren bionisch inspirierten technischen Anwendungen.

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Best Practices // 31. July 2014

Der Klettverschluss als Klassiker der Bionik

Bionik-Innovation
Bei Spaziergängen verfingen sich immer wieder Kletten in den Haaren der Hunde des Schweizer Ingenieurs Georges de Mestral. Das machte ihn neugierig, also legte er die Früchte unter sein Mikroskop und entdeckte winzige elastische Häkchen als Geheimnis hinter dem Klebemechanismus. De Mestral sah das als Möglichkeit, zwei Komponenten reversibel zu verbinden und erfand den textilen Klettverschluss. Damit schuf er das wohl bekannteste und erfolgreichste Produkt der Bionik. Inzwischen arbeiten Bioniker schon an Klettverschlüssen der zweiten Generation – sie sollen weniger leicht verschmutzen und nicht mehr das typische „Ratsch“-Geräusch beim Öffnen machen.

Technische Anwendung
Der Klettverschluss gehört mit verschiedensten Produkten zum täglichen Leben. Der Einsatz reicht von Schuhen, Bekleidungsstücken, Babywindeln, den Manschetten beim Blutdruckmessen, Rücksäcke und Taschen bis hin zum Messebau, Kabelbindern oder den Raumanzügen bei Astronauten. Selbst zur Fesselung kann ein Klettband verwendet werden. Für Rennfahrer- und Feuerwehrkleidung gibt es unbrennbare Klettbänder aus Nomex, in der Luftfahrtindustrie haben sie sogar selbstlöschende Eigenschaften im Brandfall. Selbst reversible Verbindungen aus dünnen Blechen wurden inzwischen entwickelt. Der Umsatz mit den Klettverschluss-Produkten erreicht Abermillionen von Euro jährlich.

Bionisches Funktionsprinzip
Klettfrüchten besitzen viele kleine elastische Häkchen, die auch dann nicht kaputt gehen, wenn man sie aus einem Hundefell herauszieht oder von der Kleidung löst. In diesem Fall führte das direkte Abschauen von der Natur zu einer genialen bionischen Lösung für die Technik. Der Klettverschluss besteht aus einem Hakenband, das wie die Klettfrucht eine große Zahl von elastischen Häkchen besitzt. Das Flauschband entspricht dem Tierfell und besteht aus vielen feinen geschlossenen Schlingen, die sich in den Häkchen verfangen können. Inzwischen gibt es viele Weiterentwicklungen, wie das Pilzkopfband und das Veloursband, die noch stärkere Haftkräfte entwickeln.

Vorbild aus der Natur
Die Große Klette, die das Vorbild für die Erfindung des Klettverschlusses lieferte, ist in Eurasien heimisch. Sie wird bis zu 1,50 Meter hoch und entwickelt stachlig-runde Früchte. Durch das Ankleben an Fremdkörper wird der Samen perfekt verbreitet. Die Klette gilt seit dem Mittelalter als Volksarzneipflanze, ihre Inhaltsstoffe haben antioxidative Wirkungen. Die Wurzeln und junge Blätter können als Gemüse gegessen werden.

>> Zahlen <<

1951 – in diesem Jahr meldete Georges de Mestral den Klettverschluss zum Patent an.

Bis zu 35 t pro Quadratmeter kann ein Klettverschluss aus Metall halten – und das selbst bei 800 Grad Celsius.

>> PROFIL <<

Der Ingenieur Georges de Mestral (1907 bis 1990) gilt als Pionier der Bionik. Schon als Kind interessierte er sich für Technik und ließ sich im Alter von zwölf Jahren ein mit Stoff bespanntes Modellflugzeug patentieren. Weltberühmt wurde er mit der Erfindung des Klettverschlusses. Er gründete die Firma Velcro Industries, die 1959 den ersten Klettverschluss auf den Markt brachte. Noch heute ist die Firma einer der Weltmarktführer, beschäftigt auf vier Kontinenten über 3.000 Mitarbeiter und setzt über 250 Millionen Dollar jährlich um.

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Presse // 22. July 2014

Schlangenhaut gegen den Verschleiß

Quietschende Bremsen, ratternde Scheibenwischer, abgefahrene Reifen: Verschleiß technischer Bauteile macht uns nicht nur in unserem persönlichen Alltag zu schaffen. Mit einer künstlichen Schlangenhaut von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) könnten wartungsbedingte Produktionsausfälle sowie teure und umweltschädliche Schmiermittel zukünftig Geschichte sein. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Kieler Forschenden vor kurzem in dem Fachjournal Beilstein Journal of Nanotechnology.

„Schlangen bewegen sich seit Millionen von Jahren ohne Extremitäten fort“, weiß Dr. Martina Baum. Die Forscherin der CAU mit einem Abschluss im seltenen Studiengang Technische Biologie, Universität Stuttgart, hat sich genau deshalb die Oberfläche von Schlangenhaut genauer angesehen. Und nicht nur das: In ihrer Studie berichten Baum und ihre Kollegen Professor Stanislav N. Gorb und Lars Heepe aus der Arbeitsgruppe Funktionelle Morphologie und Biomechanik am Zoologischen Institut, wie sie die Eigenschaften von Bauchschuppen der Kalifornischen Kettennatter auf ein künstliches Material übertrugen. „Die Schlange ist in vielen verschiedenen Gegenden zuhause und bewegt sich auf unterschiedlichen Untergründen“, erklärt Baum ihre Wahl der Art. „Das macht sie sehr interessant für unsere Grundlagenforschung.“

Bei der durch Schlangen inspirierten mikrostrukturierten Polymeroberfläche, kurz SIMPS, und verschiedenen anderen ähnlichen Oberflächen analysierten die Forschenden deren Reibungs- und insbesondere deren „Stick-Slip-Verhalten“ (oder auch Ruckgleiten). Dieses Phänomen tritt immer dann auf, wenn zwei Festkörper übereinander hinweg gleiten. Dabei entstehen Vibrationen: im großen Maßstab zum Beispiel bei Erdbeben, im mikroskopisch kleinen Maßstab eben bei quietschenden Bremsen. Neben unerwünschten Geräuschen sorgt es ebenfalls für einen erhöhten Materialverschleiß.

Sowohl ein Abdruck der echten Schlangenhaut als auch die SIMPS zeigten in den Untersuchungen ein reduziertes Ruckgleiten. „Wir konnten außerdem zeigen, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Reibungskoeffizient und Ruckgleiten gibt“, berichtet Martina Baum. Der Reibungskoeffizient spiegelt das Verhältnis von Reibungskraft und Anpresskraft zwischen zwei Körpern wider. Das verminderte Auftreten des Ruckgleitens bei Schlangenhaut und SIMPS lasse darauf schließen, so die Forschenden, dass die Bauchschuppen von Schlangen nicht nur reibungsoptimiert, sondern auch abriebminimiert sind, um länger intakt zu bleiben. Technische Polymeroberflächen, die durch Reibung beansprucht werden, könnten von den Erkenntnissen profitieren und nach Vorbild der Schlangenhaut verbessert werden.

Martina Baum wechselte nach der Studie von der Zoologie in die Kieler Materialwissenschaften in die Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien. Dort ist ihre Kombination von biologischem und technischem Wissen sehr gefragt. Planungen, die Forschung in diesem Bereich, basierend auf den Erkenntnissen aus dem Schlangenhaut-Projekt fortzuführen, gibt es auch schon.

Diese Forschungsarbeit wurde im Rahmen des BIONA Förderprogramms (BMBF 01 RB 0812A) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt. Dieses Projekt war eine Kollaboration zwischen Forschern der Christian-Albrechts Universität zu Kiel, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und dem Industriepartner Leonhard Kurz Group Stiftung & Co (Fürth, Germany).
Quelle: CAU Kiel

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Uncategorized // 19. July 2014

Eine Haut lässt die Muskeln spielen

Ungeahnte Kräfte entwickelt eine künstliche Haut, die ein Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam jetzt präsentiert. Die Forscher haben eine Membran hergestellt, die sich sehr schnell aufrollt, wenn sie in Kontakt mit den Dämpfen organischer Lösungsmittel wie etwa Aceton kommt. Mit der Folie – Fachleute sprechen von einem Aktuator – ahmen sie biologische Strukturen nach, die sich wie die Venusfliegenfalle oder die Deckel der Samenkapseln von Mittagsblumen bei einem Reiz von außen bewegen. Dabei kommt ihr Aktuator den biologischen Vorbildern besonders nah, weil die Forscher darin erstmals zwei Designprinzipien anwendeten, die Materialwissenschaftler bisher nicht für solche Systeme nutzten: Zum einen konzipierten sie die Membran so, dass deren Oberseite hart ist, das Material darunter aber allmählich weicher wird. Zum anderen wird die Folie von Poren durchzogen, die dem Lösungsmittel einen raschen Zugang in die Membran gewähren. Daher reagiert diese auf den äußeren Reiz schneller als andere Aktuatoren. Solche Materialien könnten als künstliche Haut und Muskeln etwa für Roboter dienen, eignen sich aber auch als Sensoren.
 
Pflanzen kennen keine Muskeln, viele sind trotzdem ziemlich rührig. So öffnen sich die Samenkapseln der Mittagsblume, wenn sie nass werden, wenn die Bedingungen also günstig sind, damit die Samen gedeihen können. Sobald die Kapseln trocken fallen, schließen sich die Deckel wieder. Die Aussicht auf eine erfolgreiche Fortpflanzung, verdankt die Mittagsblume der ausgeklügelten Struktur der Kapseldeckel: Da deren Unterseite anders als die Oberseite Wasser aufnehmen kann und dabei aufquillt, klappen die feuchten Deckel auf, während sie sich im trockenen Zustand wieder zusammenfalten. Ganz ähnlich funktioniert der biomimetische Aktuator, den ein Team um Jiayin Yuan, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, entwickelt hat.

„Unsere Membran reagiert auf einen äußeren Reiz gut zehnmal schneller als bisherige Polymer-Aktuatoren“, sagt Jiayin Yuan. „Sie führt zudem eine größere Bewegung aus.“ Dabei übt die Membran eine Kraft aus, mit der sie etwa da zwanzigfache ihres eigenen Gewichts anheben kann. Und sie funktioniert sogar dann noch fast tadellos, wenn ihr die Forscher ziemlich zusetzen: Erst kühlen sie das Material mit flüssigem Stickstoff zwei Stunden lang auf minus 190 Grad Celsius, erhitzen es anschließend einen ganzen Tag lang auf plus 150 Grad Celsius und pressen es dann noch mit einer Tonne pro Quadratzentimeter. Zwar büßt die Membran bei dieser Tortur ein wenig an Reaktionsgeschwindigkeit ein, funktioniert aber immer noch besser als alle vergleichbaren Polymer-Aktuatoren, die sich beim Kontakt mit einer Flüssigkeit bewegen.

Ein Gefälle im Grad der Vernetzung und Poren machen den Unterschied

Materialwissenschaftler verfolgten bereits verschiedene Ansätze, um biomimetische Aktuatoren zu entwickeln, die sich also wie biologische Vorbilder verhalten. Bisher kamen sie dabei jedoch nicht an das natürliche Vorbild heran. Wie bei den mechanischen Teilen von Pflanzen macht auch hier die Struktur des Materials den Unterschied. „Unsere Membran weist einen Gradienten, also eine Gefälle im Grad der Vernetzung auf, und ist außerdem porös“, sagt Jiayin Yuan. „Dank dieser beiden Strukturmerkmale, reagiert unser Aktuator schnell und mit einer großen Bewegung.“ Bisher bestehen viele solcher Aktuatoren dagegen aus zwei Schichten, die unterschiedlich viel Flüssigkeit aufnehmen. Solch eine Materialkombination kann aber nur relativ kleine Bewegungen ausführen, und ist dabei sogar noch langsam. Viele dieser Systeme lassen sich auch nur aufwändig herstellen, einige gehen zudem kaputt, wenn sie zu heiß oder trocken werden.

Ihren besonders leistungsfähigen Membran-Aktuator erhalten die Forscher, indem sie zunächst in einer entsprechenden Lösung eine Membran aus einem ionischen Polymer erzeugen. In diese Folie eingelagert sind voluminöse Säulen-Moleküle, die mögliche Anknüpfungspunkte zu den ionischen Polymeren tragen. Die molekularen Säulen und Ketten vernetzen die Forscher nun mit einer Ammoniaklösung, die die Anknüpfungspunkte der Säulen aktiviert. Der Clou dabei: Die Forscher gewähren der Ammoniaklösung nur von einer Seite Zugang zu der Membran, weil diese auf einer Glasunterlage liegt. Die Lösung sickert also nur langsam von oben in die Folie ein. Daher verknüpft sie die Komponenten an der Oberseite stark, aber immer weniger, je tiefer es in die Membran hineingeht. Die wässrige Ammoniaklösung hat darüber hinaus noch einen anderen Effekt: Sie hinterlässt auch die Poren in der Folie.

Durch die Poren breitet sich der Dampf des Lösungsmittels wie etwa des Acetons schlagartig in der Membran aus. An der Oberseite, die stark vernetzt und hart ist, richtet die organische Treibstoff des Aktuators allerdings nicht viel aus. In Richtung der Unterseite dagegen immer mehr: Dort löst es das ionische Polymer und lässt das Material aufquellen – die Membran biegt sich.

Die Membran kann zwischen verschiedenen Lösungsmitteln unterscheiden

Solche Aktuatoren könnten überall dort nützlich sein, wo ein Material mit einer Bewegung auf einen äußeren Reiz reagieren soll. So könnte eine Membran wie diejenige des Teams um Jiayin Yuan, an dem auch Forscher des Helmholtz-Zentrums Berlin beteiligt waren, Robotern gleichzeitig als künstliche Haut und Muskel dienen. Ihr besonderer Charme läge darin, dass für die Bewegung keine Energie extra aufgewendet werden müsste. Die würde vielmehr der Reiz selbst liefern.

Eine weiteres ziemlich unerwartetes Einsatzgebiet der Membran kam den Forschern in den Sinn, während sie verschiedene Lösungsmittel zum Antrieb des Aktuators testeten: „Die Membran reagiert sehr charakteristisch auf jedes Lösungsmittel, das wir verwendeten – sowohl in der Stärke der Bewegung als auch in der Reaktionszeit“, erklärt Jiayin Yuan. „Sie eignet sich also sehr gut als Sensor, der zwischen verschiedenen organischen Lösungsmitteln unterscheiden kann.“

Die Forscher des Potsdamer Max-Planck-Instituts wollen ihr Material nun weiterentwickeln. Sie arbeiten etwa an einem Aktuator, der nicht durch ein Lösungsmittels motiviert wird, sondern durch Licht. Und auch darin sieht Jiayin Yuan nur eine der Chancen, die sein Forschungsgegenstand bietet: „Wir wollen zeigen, dass polyionische Flüssigkeiten Anwendungen ermöglichen, die mit anderen Materialien nicht denkbar sind.“

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Uncategorized // 17. July 2014

Mottenauge als Vorbild für Solarzellen

Weltweit forschen Wissenschaftler an Solarzellen, die die Photosynthese der Pflanzen nachahmen und aus Sonnenlicht und Wasser synthetische Brennstoffe wie Wasserstoff bilden. Empa-Forscher haben nun eine solche photoelektrochemische Zelle dem Mottenauge nachempfunden und dadurch die Lichtausbeute drastisch erhöht.

Eisenoxid, also Rost, könnte die Solartechnik revolutionieren: Aus dem – meist unerwünschten – Stoff lassen sich Photoelektroden herstellen, die Wasser spalten und dadurch Wasserstoff erzeugen. So wird Sonnenenergie nicht erst in Elektrizität, sondern direkt in einen wertvollen Brennstoff umgewandelt. Leider hat das Ausgangsmaterial so seine Tücken: Eisenoxid ist zwar unschlagbar billig und absorbiert genau in dem Wellenlängenbereich, in dem die Sonne am meisten Licht aussendet, doch es leitet elektrischen Strom sehr schlecht und muss daher immer in Form äußerst dünner Filme verarbeitet werden, damit die Wasserspaltung funktioniert. Der Nachteil: Diese dünnen Filme absorbieren zu wenig vom eingestrahlten Sonnenlicht.  

Mikrokügelchen fangen das Sonnenlicht ein  

Den Empa-Forschern Florent Boudoire und Artur Braun ist es nun gelungen, dieses Problem zu lösen: Eine spezielle Mikrostruktur der Photoelektrode fängt das Licht buchstäblich ein und lässt es nicht mehr heraus. Die Grundlage für diese innovative Struktur bilden winzige Partikel aus Wolframoxid, das wegen seiner satten, gelben Farbe ebenfalls für Photoelektroden benutzt werden kann. Die gelben Kügelchen werden auf einer Elektrode aufgetragen und dann mit einer hauchdünnen (nanoskaligen) Schicht Eisenoxid überzogen. Fällt von außen Licht auf die Partikel, wird es in innen mehrfach hin und her reflektiert. Schließlich ist alles Licht absorbiert, und die gesamte Energie steht für die Spaltung von Wassermolekülen zur Verfügung. Auf diese Weise erzeugt die Photozelle aus Wasser den ökologisch vorteilhaften Brennstoff Wasserstoff.  

Im Grunde funktioniere die neu erdachte Mikrostruktur wie das Auge einer Motte, erklärt Florent Boudoire: Die Augen von Nachtfaltern müssen viel Licht einsammeln – und dürfen so wenig wie möglich reflektieren, sonst wird der Falter entdeckt und gefressen. Die Mikrostruktur dieser Augen ist speziell auf die Wellenlänge des Lichts angepasst. Die Photozelle der Empa nutzt den gleichen Effekt.  

Um künstliche Mottenaugen aus Metalloxidkügelchen herzustellen, besprühte Florent Boudoire eine Glasscheibe mit einer Suspension aus Kunststoffpartikeln, die in ihrem Inneren jeweils ein Tröpfchen Wolframsalzlösung enthielten. Die Partikel bedecken das Glas wie eine Schicht Murmeln, die dicht aneinander liegen. Dann steckte er das Ganze in den Ofen; der Kunststoff verbrennt, und aus den einzelnen Tröpfchen der Salzlösung entstehen die gewünschten Wolframoxidkügelchen. In einem weiteren Sprühvorgang wird diese Struktur mit Eisensalz überzogen und erneut im Ofen erhitzt.  

«Einfangen des Lichts» am Computer simuliert  

Nun könnte man das Mixen, Sprühen und Brennen für reine Alchemie halten – für eine Versuchsreihe, die Zufallstreffer erzielt. Doch parallel zu ihren Experimenten haben die Forscher Modellrechnungen am Computer durchgeführt und das „Einfangen des Lichts“ in den Kügelchen am Computer simuliert. Das Ergebnis der Simulationen stimmte mit den Versuchen überein, wie Projektleiter Artur Braun bestätigt. Es ist klar zu erkennen, wie viel das Wolframoxid zum Photostrom beiträgt und wie viel das Eisenoxid. Und: je kleiner die Kügelchen sind, desto mehr Licht landet auf dem Eisenoxid, das die Kügelchen überdeckt. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher untersuchen, welche Effekte mehrere übereinander liegende Schichten von Kügelchen auslösen können. Die Arbeit an der Mottenaugen-Solarzelle geht also weiter.
Quelle: Empa

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Forschung // 14. July 2014

Superklebende Froschzungen

Klebrige Zungen erlauben es Fröschen, ihre Beutetiere zu fassen. Wissenschaftler des Instituts für Spezielle Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnten nun erstmals die dabei auftretenden Kräfte messen, mit denen Froschzungen an Oberflächen haften.

Südamerikanischen Schmuckhornfröschen (Gattung Ceratophrys) setzten die Kieler Forscher Insekten hinter einer Glasscheibe vor, welche mit einem Kraftsensor verbunden war. Beim Versuch die Beute zu fangen, hafteten die Zungen am Glas und die dabei auftretenden Kräfte wurden erfasst. Die Haftkräfte lagen dabei teilweise deutlich über dem Körpergewicht der Tiere. Ein Frosch könnte also theoretisch mit seiner Zunge ein Beutetier vom Boden heben, das schwerer ist, als der Frosch selbst. „Stellen sie sich einen 80 Kilogramm schweren Menschen vor, der über 110 Kilogramm in wenigen Millisekunden mit seiner Zunge vom Boden hebt“, verdeutlicht Dr. Thomas Kleinteich, Erstautor der Studie, die Leistungsfähigkeit von Froschzungen. Über den eigentlichen Haftmechanismus von Amphibienzungen ist bisher kaum etwas bekannt. „Man geht davon aus, dass der Schleim auf der Zungenoberfläche als eine Art Superkleber wirkt“, so Kleinteich weiter, „allerdings zeigen unsere Ergebnisse, dass höhere Haftkräfte auftreten, wenn nur wenig Schleim produziert wird.“

Kleinteich und Zweitautor Professor Stanislav N. Gorb gehen davon aus, dass außer dem Schleim die Beschaffenheit der Zungenoberfläche eine entscheidende Rolle bei der Haftung der Zunge spielt. Wie diese bei verschiedenen Froscharten aussieht, beschreiben Kleinteich und Gorb aktuell. Auch planen die Forscher, den Versuch zur Kraftmessung weiter zu verbessern, um die Haftkräfte nicht nur auf Glas, sondern auch auf natürlichen Beuteoberflächen zu messen. Langfristig soll es so möglich sein, den Haftmechanismus der Froschzungen aufzuklären und für technische Anwendungen zugänglich zu machen

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