BIOKON – Das Bionik-Kompetenznetz

Best Practices

„I think the biggest innovations of the 21st century will be at the intersection of biology and technology. A new era is beginning.”
Steve Jobs, Apple Gründer

Die Innovationskraft der Bionik entspringt aus dem nahezu grenzenlosen Pool an biologischen Vorbildern für spezifische Antworten auf technische Fragestellungen. In beeindruckender Vielfalt schafft die Natur Inspirationen für technische Entwicklungen, die Marktrelevanz in den unterschiedlichsten Branchen haben.

Hier haben wir Erfolgsbeispiele der Bionik zusammengestellt, die wir nach dem Schema (1) Bionik-Innovation, (2) Technische Anwendung, (3) Bionisches Funktionsprinzip und (4) Vorbild aus der Natur aufbereitet haben – unterstützt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Rahmen der Förderung unseres Bionik-Unternehmensforums.

Willkommen bei den Innovationen an der Schnittstelle von Biologie und Technik.

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Best Practices // 31. July 2014

Winziges Strahlentierchen als Vorbild für riesige Offshore-Windkraftanlagen

Bionik-Innovation
In der Zukunft sollen bis zu 15 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland durch Offshore-Windparks abgedeckt werden. Die in einer Studie des Bundesumweltministeriums genannte Zahl bedeutet, dass bis Ende 2030 bis zu 5.000 Windkraftanlagen und damit auch die dafür nötigen Gründungsstrukturen installiert werden müssen. Zur Optimierung der riesigen, in den Meeresboden verankerten Elemente bedienten sich Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung AWI in der Helmholtz-Gemeinschaft in Bremerhaven sowie Ingenieure der WeserWind GmbH eines Vorbilds aus der Natur. Nur etwa 100 Mikrometer groß ist das zum Plankton gehörende Strahlentierchen, nach dessen Vorbild sich das Gewicht der Stahlkonstruktionen der Windkraftwerke um etwa 37 Prozent reduzieren lässt.

Technische Anwendung
Die Fundamente der Offshore-Windkraftanlagen sind 30 bis 40 Meter hohe dreibeinige Tripods, die im Meeresboden verankert werden. Sie wiegen 800 Tonnen. Vergleiche mit Plankton-Skeletten führten nun zu einer technischen Konstruktion, die über ein Drittel des Gewichts spart. So können die Gesamtkosten für Bau, Transport und Aufbau wesentlich gesenkt werden. Probleme wie Wind, Seegang oder Schiffshavarien wurden berücksichtigt, die Struktur ist reparabel. Das für die Entwicklung der Gründungsstrukturen genutzte „Evolutionary Light Structure Engineering“-Verfahren (ELiSE) soll den strukturellen Leichtbau auch in anderen Anwendungsbereichen der Industrie in ein neues Zeitalter führen.

Bionisches Funktionsprinzip
Die Forscher des AWI verfügen über einen Fundus von über 100.000 Präparaten von Kieselalgen und Radiolarien. Diese Organismen sind zwischen 2 und 1.000 Mikrometer groß. Sie haben in der Evolution sehr stabile und dennoch leichte Schalenstrukturen entwickelt, um in den oberen Meeresschichten verbleiben und sich gleichzeitig gegen die dort lebenden, natürlichen Feinde schützen zu können. Für die Offshore-Gründungsstruktur untersuchten die Wissenschaftler Hunderte Strahlentierchen und analysierten, welche der geometrischen Formen die Last von Windkraftanlagen tragen könnten. Im zweiten Schritt wurde eine Form ausgewählt, im dritten erfolgte das Abstrahieren für die technische Umsetzung, im vierten Schritt deren Optimierung und zuletzt die fertigungstechnische Aufbereitung.

Vorbild aus der Natur
Strahlentierchen oder Radiolarien gehören zur Gruppe der einzelligen Lebewesen und verfügen über ein Skelett aus Siliciumdioxid. Sie sind winzig klein und sind seit über 500 Millionen Jahren auf der Erde vertreten. Radiolarien leben im Meer und gehören zum Plankton. Es gibt sie in den unterschiedlichsten, teils phantastischen Formen, die auch Kugeln oder Schneekristallen ähneln können.

>> Zahlen <<

100 Mikrometer: Größe des Strahlentierchens, das als Vorbild für die Gründungsstruktur einer Offshore-Windkraftanlage Pate stand.

40 Meter beträgt die Höhe der Gründungsstruktur von Windkraftanlagen im Meer.

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Best Practices // 31. July 2014

Eine bionische Hörprothese: das Cochlea-Implantat

Bionik-Innovation
Das Cochlea Implantat (CI) wurde in den 1970er Jahren entwickelt und ist eine der ersten und wichtigsten Errungenschaften der Bionik-Forschung. Erstmals gelang es damals, einen menschlichen Sinn prothetisch zu ersetzen. Im Gegensatz zu Hörgeräten, die nur den eintreffenden Schall verstärken, übernimmt das CI den natürlichen Vorgang der Signalübertragung zwischen Haarsinneszelle und Hörnervenfaser. Damit ist es keine Hörhilfe, sondern eine Hörprothese für Gehörlose, deren Gehörnerv noch funktioniert. Diese ist von höchstem Nutzen, denn jeden Tag werden allein in Deutschland ein bis zwei gehörlose Kinder geboren. Dazu verlieren viele Menschen durch Unfälle und Krankheit ihren Hörsinn. Vielen dieser Menschen kann mit dem CI die Rückkehr in ein weitgehend normales Leben ermöglicht werden.

Technische Anwendung
Ein Cochlea-Implantat besteht aus externen und zu implantierenden Bauteilen. Die außenliegenden Komponenten wie Mikrofon, Soundprozessor, Batterie und Sendespule werden meist hinter dem Ohr getragen. Bei einer Operation implantiert werden Empfängerspule und Elektroden. All dies dient dazu, den natürlichen Hörvorgang technisch zu simulieren. Das Mikrofon fängt die Schallwellen aus der Umgebung auf. Der Soundprozessor wandelt diese elektronisch um und codiert sie. Die Sendespule sendet diese dann an die implantierte Empfängerspule, die wiederum über Elektroden direkt den Hörnerv anregt. Ab dann geht alles seinen natürlichen Weg. Für jeden CI-Benutzer wird der Soundprozessor mit einem speziellen Computerprogramm individuell angepasst.

Bionisches Funktionsprinzip
Mit dem Cochlea-Implantat wird der natürliche Hörvorgang nachgebildet. Bei Menschen mit normalem Hörvermögen steht dabei die Hörschnecke (Cochlea) im Zentrum. Die Haarsinneszellen im Inneren der Cochlea wandeln mechanische Schwingungen in Nervenimpulse um, die an das Gehirn weitergeleitet werden. Jede Haarsinneszelle ist auf eine spezielle Tonfrequenz spezialisiert, die sie an die Hörnervenfasern weitergibt. Die Elektroden im Cochlea-Implantat bilden diesen Vorgang nach: Sie erregen den Hörnerv. Die besondere Herausforderung besteht darin, die Hörnervenfasern punktgenau wie beim natürlichen Hörvorgang zu reizen.

Vorbild aus der Natur
Das Innenohr ist ein wahres Multitalent und gehört zu den wichtigsten Sinnesorganen des Menschen. Neben dem Hör- ist es auch für den Gleichgewichtssinn zuständig. Über Jahrmillionen wurde die Funktion des Innenohrs perfektioniert. Das Ohr funktioniert als Trichter und leitet die Schallwellen ans Trommelfell weiter. Dort sitzen die Gehörknöchelchen − Hammer, Amboss und Steigbügel − die den Reiz weiterleiten. Haarzellen wandern den mechanischen Reiz dann in einen elektrischen um, der im Gehirn verarbeitet wird.

>> Zahlen <<

Mehr als 300.000 Menschen
tragen weltweit das Cochlea-Implantat, davon über 30.000 allein in Deutschland

>> Das bionische Ohr <<

Das Cochlea-Implantat, das in das Innere des Ohres eingesetzt wird und akustische Signale in Nervenimpulse umsetzt und an das Gehirn weitersendet, gibt tauben Patienten mit genetisch bedingter Taubheit in 45 bis 50 Prozent der Fälle ihr Gehör zurück. Bei Fällen von post-infektiöser Taubheit, Hörverlust ausgelöst durch Medikamententoxikation oder Problemen während der Schwangerschaft – beispielsweise viralen Erkrankungen der Mutter im ersten Schwangerschaftsdrittel – hilft das Implantat bei 25 bis 30 Prozent der Betroffenen. „Das Cochlea-Implantat ist bei allen Patienten wirksam, bei denen die Taubheit auf Probleme im Innenohr zurückzuführen ist und jene Zellen geschädigt sind, die dafür zuständig sind die Geräusche in elektrische Signale umzusetzen und durch den Hörnerv an das Gehirn weiterzuleiten“, erklärt Studienleiter Gaetano Paludetti von der Università Cattolica di Roma.

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Best Practices // 31. July 2014

Die bionische Transportpalette im Igel-Stil

Bionik-Innovation
Für den Transport empfindlicher Güter wie Computer-Serverschränke sind stoßdämpfende Paletten nötig. Da sie international versendet werden, gibt es für die meist aus einem Mix von Holz, Kunststoff und Metall bestehenden Elemente kein Entsorgungskonzept. Meist werden sie schlicht nach einmaligem Gebrauch weggeworfen und nicht oder nur teilweise recycelt. Eine von Biologen der Universität Freiburg gemeinsam mit Ingenieuren des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf und der Firma Rittal entwickelte bionische Transportpalette kann die Verschwendung von Ressourcen stoppen. Die aus mehreren Komponenten bestehende Konstruktion wurde nach natürlichen Vorbildern wie Bambushalmen, Bäumen oder Igelstacheln entwickelt. Eine Deckplatte aus Naturfasern und biologisch abbaubarem Polylactid und die Wiederverwendbarkeit von Elementen sorgen für eine wesentlich verbesserte Ökobilanz. Mit einer minimal statischen Gesamtlast von 1.200 kg, einer verbesserten Stoß-/Schwingungsdämpfung im Bereich 15 bis 35 Hz, wettbewerbsfähigen Kosten und einer neutralen CO2-Bilanz ist die bionische Palette ein ökonomisch überaus attraktives Produkt.

Technische Anwendung
Durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe wie Naturfasern ist die bionische Palette bei ähnlichen Kosten deutlich umweltschonender als herkömmliche Modelle. Hinzu kommt mittelfristig eine effektive Kostenersparnis. Denn die Palette besteht aus einzelnen Modulen, die im Vergleich zu bisherigen Produkten schnell zusammen- und auseinandergebaut werden können. Die Palette wird deswegen kein Einwegprodukt, sondern modular wiederverwendbar sein. Die Deckplatte und die Podestfüße sind völlig recycelbar. Durch die Modularität kann zudem flexibel auf Kundenwünsche eingegangen werden. Damit hat die bionische Transportpalette beste Argumente am Markt.

Bionisches Funktionsprinzip
Die einzelnen Komponenten der Transportpalette haben unterschiedliche biologische Vorbilder. Bei der Optimierung der Deckplatte lieferte zum Beispiel der Aufbau von Bambushalmen die Inspiration. Im Halm werden Scherspannungen zur Dämpfung schwingender Halme genutzt. Dazu sind die Fasern durch Einbettung in das Grundgewebe gegen Ausbeulen unter Druck und Biegebelastung geschützt. Für ein anderes Modul standen die Stacheln von Igeln und Stachelschweinen Pate. Die Stacheln schützen nicht nur vor Feinden, sondern auch äußerst effektiv vor Verletzungen bei Stürzen. Die Fallenergie wird von den Stacheln aufgenommen, ohne dass diese dabei brechen. Sie sind in eine Schicht aus Hautmuskulatur eingebettet und vereinen Biegesteifigkeit, Dämpfungseigenschaften und Leichtbau. Nach dem Vorbild der biologischen Stoßdämpfer bauten die Forscher im Labor zunächst einen einfachen Demonstrator aus einem schaumgefüllten Tennisball mit Stäben. Daraus wurde dann das Endprodukt entwickelt.

Vorbild aus der Natur
Igel gehören zur Gruppe der Säugetiere, die etwa 25 Arten sind in Eurasien und Afrika verbreitet. Das besondere anatomische Merkmal des Großteils der Igel sind ihre Stacheln an Rücken und Flanken, die eine wirksame Verteidigungswaffe sind. Diese Stacheln sind in der Evolution modifizierte, hohle Haare. Jeder Stachel ist mit einem Aufrichtemuskel ausgestattet. Im Falle einer Bedrohung rollen sich Stacheligel zu einer Kugel zusammen und verbergen die ungeschützten Körperteile.

>> Zahlen <<

1.200 Kilogramm beträgt die statische Gesamtlast der bionischen Transportpalette.

>> Ausgezeichnete Forschung <<

Die „Bionische Transport-Palette“ wurde 2011 mit dem „Best of Certificate“, dem ersten Preis des „Materialica Design+Technology Award“, in der Kategorie CO2-Effizienz ausgezeichnet.

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Best Practices // 31. July 2014

Ohne Pumpen möglich: mit Textilien Flüssigkeiten transportieren

Bionik-Innovation
Lianen sind in der Lage, Wasser ohne jedes Pumpsystem über größere Entfernungen und in große Höhen zu transportieren. Davon haben sich Forscher der Universität Tübingen und vom ITV Denkendorf inspirieren lassen und haben technische Textilien entwickelt, die künftig für den Ferntransport von Flüssigkeiten sorgen könnten. In den mikroskopischen Hohlfasern dieser Textilmatten sollen durch eine spezielle Strukturierung der Oberfläche Flüssigkeiten sicher und bedarfsgesteuert über große Distanzen transportiert werden. Das Ganze ohne Pumpsystem. Das spart Energie, schont die Natur und hilft zudem bei der Erhöhung der Kosteneffizienz – die Einsatzmöglichkeiten der innovativen Technologie reichen weit über den Einsatz in Bewässerungssystemen hinaus.

Technische Anwendung
Mit Hilfe der technischen Textilien könnten künftig Bewässerungssysteme realisiert werden, die Wasser ohne aktiven Pumpmechanismus sparsam und bedarfsreguliert an Pflanzen abgeben. Das Wirkungsprinzip ist aber auch für viele weitere Bereiche interessant, in denen größere Mengen an Flüssigkeiten über einen längeren Zeitraum abtransportiert werden müssen. Zu nennen sind hier auch schonende Entwässerungssysteme, die Drainage von Bauwerken, Textilien für die Medizin und Bekleidungsindustrie oder Brennstoffzellen. In letzterem Beispiel könnte so das beim Prozess entstehende Wasser effektiv abgeführt werden.

Bionisches Funktionsprinzip
Lianen transportieren Wasser ohne aktiven Pumpmechanismus über große Entfernungen – und die benötigte Energie wird dabei praktischerweise von der Sonne über den Transpirationssog geliefert. Weitere Eigenschaften machen dieses Wunderwerk der Natur für die menschliche Nutzung in Textilien interessant: Das Transportvolumen ist bedarfsgerecht – es wird genau so viel Wasser transportiert, wie für den Stoffwechsel der Pflanzen benötigt wird. Zudem hat das System eine hohe Transportsicherheit, da Embolien vermieden und repariert werden. Das wird durch Transportkapillare erreicht, die Wasser über Membranschleusen an die nächste Kapillare weitergeben. Die technische Realisierung ist noch im Anfangsbereich. Jedoch wurden schon mikroskopischen Hohlfasern mit einer speziell strukturierten Oberfläche für eine Embolievermeidung und Emboliereparatur entwickelt. Sie sollen Flüssigkeiten in speziellen Textilmatten sicher und bedarfsgerecht über große Distanzen transportieren. Am ITV Denkendorf ist der Transport mit speziellen Fasermaterialien aktuell über 1,5 Meter Förderhöhe gelungen. In weiteren Grundlagenstudien sind bereits Förderhöhen über 17 Meter realisiert worden.

Vorbild aus der Natur
Lianen sind die wohl bekanntesten Kletterpflanzen – nicht nur wegen des Urschreis von Tarzan im Film. Besonders zahlreich sind Lianen im tropischen Regenwald vertreten. Ihre tauartigen dünnen Stämme können durchaus 100 Meter lang sein. Deswegen ist das Wasserleitungsgewebe im Stamm bei allen Lianen perfektioniert. Der Leitungswiderstand zwischen den Zellen ist extrem herabgesetzt. Es gibt auch in Mitteleuropa Lianenarten wie Clematis, Wilde Weinrebe oder Efeu.

>> Zahlen <<

17 Meter beträgt die Förderhöhe von Flüssigkeiten, die ohne Einsatz von Pumpsystemen mit Hilfe technischer Textilien bislang erreicht wurden.

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Best Practices // 31. July 2014

Die Bauweise der Zukunft: Textile Solarthermie im Eisbärhaus

Bionik-Innovation
Energieautarke Gebäude unter Benutzung des textilbionischen „Eisbärfell-Effekts“ könnten die Bauweise in der Zukunft revolutionieren. Im Sommer kühlen, im Winter wärmen und das alles nur mit Sonnenenergie – das soll in dem futuristischen Hightech-Bau mit der textilen Gebäudehülle möglich sein. Sechs Forschungspartner unter Federführung des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) haben mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union und des Landes Baden-Württemberg ein Muster-Eisbärhaus in Denkendorf bei Stuttgart gebaut. Es besitzt neuartige textile Solarkollektoren aus mehreren Membranschichten, die eine hohe Wärmeisolation aufweisen. Gespeichert wird die Energie dann bis zum Winter in Langzeit-Speichern aus Silikagel.

Technische Anwendung
Das Interesse der Wirtschaft am Muster-Eisbärhaus ist riesig. „Viele Architekten und Baufachleute haben den Wunsch geäußert, nach diesem Prinzip bauen zu wollen“, kommentierte ITV-Forscher Jamal Sasour bereits wenige Monate nach der Inbetriebnahme. Es gibt bereits Folgeprojekte, um vorhandene Energie ins Haus zu holen. Textilen Materialien gehört im Bauwesen nicht nur wegen neuer energieeffizienter Lösungen die Zukunft: Mit Hilfe von Textilbeton sind organischen Strukturen nachempfundene Fassaden möglich, die extreme Festigkeit und nahezu grenzenlose Formgebung vereinen. Sie sind korrosionsbeständig und hochfest, dabei aber deutlich leichter und schlanker. So werden neben Energie auch Rohstoffe gespart.

Bionisches Funktionsprinzip
Eisbären besitzen ein dichtes, weißes Fell, eine schwarze Epidermis und eine Fettschicht zur Wärmedämmung – mit dieser Kombination haben sie ihren Energiehaushalt perfektioniert und sind unter extremsten Witterungsbedingungen lebensfähig. Im Eisbärhaus ist dieses Prinzip technisch umgesetzt worden: Einfallendes Sonnenlicht trifft auf ein schwarz beschichtetes Textilgewebe und eine hoch poröse Membran mit Wärmetransportschicht, die zusammen für die Erwärmung der durchströmenden Luft sorgen. Warme Sommerluft gelangt so in ein Langzeit-Speichersystem mit Silikagel, in dem sie bis in die Winterzeit hinein „gelagert“ wird. Eine weitere Schicht in der Gebäudehülle sorgt für eine hohe Wärmedämmung nach außen – zuständig für das Fernhalten der Winterkälte.

Vorbild aus der Natur
Der Eisbär lebt in den Polarregionen der Erde und gilt mit einer Rumpflänge von 3,40 Metern und einer Schulterhöhe bis 1,60 Meter als das größte landlebende Raubtier der Erde. Er kann selbst tiefste Minustemperaturen aushalten und stundenlang im eiskalten Wasser schwimmen. Bei extremen Wetterverhältnissen lässt er sich einschneien und übersteht so selbst stärkste Winterstürme. Der Eisbär ist perfekt an die Lebensverhältnisse angepasst, allerdings droht sein Lebensraum durch die globale Erwärmung zu schwinden.

>> Zahlen <<

2000 Zyklen der Energieaufnahme  und -abgabe kann das Silikagel im Speicher mindestens bewältigen.
80 Grad Celsius beträgt die Mindesttemperatur, mit der die von der Sonne erwärmte Luft in den Speicher geblasen wird.

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Best Practices // 31. July 2014

Der Lotus-Effekt: Wenn sich Fassaden selbst reinigen

Bionik-Innovation
Häuser, die sich selbst reinigen − sie sind kein Traum mehr. Selbstreinigende Fassadenfarben mit dem einst von Bioniker Professor Dr. Wilhelm Barthlott für die Technik nutzbar gemachten Lotus-Effekt sorgen dafür, dass Schmutz mit dem Regen von den Außenwänden abperlt. Der Befall der Fassaden mit Algen oder Pilzen wird durch die Bionik-Farbe Lotusan® nachhaltig gehemmt. Dadurch können Hausbesitzer länger mit einem Neuanstrich warten − und sparen Kosten. Zudem wird bei der Fassadenfarbe komplett auf Biozide verzichtet.

Technische Anwendung
Die Fassadenfarbe Lotusan® gehört inzwischen zu den Klassikern bionisch inspirierter Produkte. In den über zehn Jahren seit der Markteinführung hat die Farbe auf Millionen von Quadratmetern Fassaden weltweit bewiesen, dass sie tatsächlich für eine wesentlich verbesserte Sauberkeit und eine längere Haltbarkeit des Hausanstrichs sorgt. Aus der Produktfamilie gibt es inzwischen auch einen Fassadenputz mit vergleichbaren, wasserabweisenden Eigenschaften. Produkte, die den Lotus-Effekt nutzen, schreiben inzwischen in extrem vielen Bereichen eine Erfolgsstory: Ob Korrosionsschutzschichten, Antihaftbeschichtungen von Farbwannen oder Druckereiwalzen, selbst reinigende Gläser, die zum Beispiel in den TollCollect-Kameras eingebaut wurden, oder schmutzabweisende Textilien.

Bionisches Funktionsprinzip
Der Lotus-Effekt basiert auf mikro- und nanostrukturierten Oberfläche in Noppenform der gleichnamigen Lotus-Pflanze und den wasserabweisenden Eigenschaften der äußeren Wachsschicht der Pflanze. Schmutzpartikel können so leicht von Wassertropfen weggetragen werden. Dass das Wasser so leicht abperlt, ist durch die wasserabweisende Oberfläche begründet, wo der Tropfen nur an wenigen Stellen Kontakt zur Pflanze hat. Dieser Effekt wurde bei der Fassadenfarbe Lotusan nachgebaut. Zum einen sorgt die Nanostruktur der Farbe für den gewünschten Effekt, zum anderen die Inhaltsstoffe. Enthalten ist zum Beispiel Silikon − das mit seiner niedrigen Oberflächenenergie und ausreichender chemischer Stabilität perfekt für das Reinigungsprinzip geeignet ist.

Vorbild aus der Natur
Die Lotusblume ist eine in Asien und Amerika vorkommende Wasserpflanze, die über außergewöhnliche, antiadhäsive Eigenschaften verfügt. Erreicht werden diese durch eine Verbindung aus einer Nanostruktur und speziellem Wachs auf der Pflanzenoberfläche. So wird die Kontaktfläche zwischen Wasser und Oberfläche drastisch reduziert. Ein Wassertropfen hat auf der Lotusblume nur eine Auflagefläche von 0,6 Prozent − das ist ein Rekord im Reich der Natur. Das Wasser perlt ab und nimmt dabei noch den Schmutz und andere Stoffe mit. Die biologische Bedeutung des Lotuseffekts liegt im Schutz vor einer Besiedlung durch Mikroorganismen, Krankheitserreger oder Keime oder vor Bewuchs mit Algen. Ähnliche Systeme gibt es auch bei anderen Pflanzen und Tieren.

>> BIOKON-PROFIL <<

Professor Wilhelm Barthlott, Botaniker, Biologe und BIOKON-Ehrenmitglied, ist ein Pionier der Verbindung von Biologie und Technik. Aus seinen systematischen elektronenmikroskopischen Forschungen pflanzlicher Oberflächen entwickelte er selbstreinigende (Lotus-Effekt) und permanent unter Wasser lufthaltende Oberflächen (Salvinia-Effekt). Wilhelm Barthlott erhielt für seine Arbeit zahlreiche Auszeichnungen wie den Deutschen Umweltpreis.

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Best Practices // 31. July 2014

Ein Reifen nach dem Katzenpfoten-Prinzip

Bionik-Innovation
Optimiert für das Fahren wie das Bremsen – so einen Autoreifen wünscht sich jeder. Bei der Suche nach dem perfekten Pneu nutzten die Ingenieure die Natur als Ideenreservoir. Die Pfoten des Geparden sind adaptiv. Das bedeutet, dass sie sich den jeweiligen Bedingungen anpassen. Nach diesem Vorbild entstand der erste bionische Reifen. Er ist nicht nur langlebig, geräuscharm und treibstoffsparend – sondern hilft durch den verkürzten Bremsweg auch aktiv bei der Vermeidung von Unfällen.

Technische Anwendung
Biologische Forschungen bildeten die Grundlage für die Arbeit der Reifeningenieure, die so den ContiPremiumContact entwickelten. Sie nutzten dabei die sogenannte Evolutionsstrategie mittels rechnerischer Computersimulationen, um die optimale Gummimischung und den bestmöglichen Aufbau des Reifens herauszufinden. Dieser entspricht jetzt dem Katzenpfoten-Vorbild: Bei normaler Fahrt ist er so breit wie ein normaler Sommerreifen, trägt somit zu einem niedrigen Spritverbrauch und einem perfekten Fahrverhalten bei Nässe bei. Bremst das Auto, wird durch den so erzeugten höheren Druck der bionische Reifen stärker als ein konventioneller verbreitert und damit die Kontaktfläche zwischen Reifen und Straße vergrößert. Neben einem optimierten Kurvenverhalten wird so auch der Bremsweg um bis zu zehn Prozent verkürzt. Der „Katzenpfoten-Reifen“ ist schon seit 2000 ein Verkaufsschlager.

Bionisches Funktionsprinzip
Gepardenpfoten passen sich perfekt den jeweiligen Erfordernissen an. Beim Geradeauslaufen sind die Tatzen der Großkatze schmal, sie haben deshalb einen geringen Widerstand. Beim Kurvenlaufen oder Abbremsen spreizen sich die Tatzen, werden breiter und übertragen deshalb mehr Kraft auf den Boden. Obwohl es in der Natur keine Räder gibt – es wird gelaufen, gekrochen, geschwommen oder geflogen – diente diese außergewöhnliche Fähigkeit der Raubkatzen-Pfote als Vorbild für die Entwicklung eines Reifens.

Vorbild aus der Natur
Der Gepard ist ein hochspezialisiertes Raubtier und gilt als das schnellste Landtier der Welt. Die in der Afrikanischen Savanne beheimateten, gepunkteten Tiere sind wahre Athleten: Trotz einer Körperlänge von 150 Zentimetern plus 70 Zentimeter Schwanz wiegen sie nur etwa 60 Kilogramm. Der Gepard schleicht sich bis auf 50 bis 100 Meter an seine Beute heran, um sie dann nach einem kurzen Sprint zu packen. Die dabei erreichte außergewöhnliche Geschwindigkeit zeichnet die Raubkatze aus. Durch ihre optimierten Pfoten kann sie blitzartig antreten, schnelle Richtungswechsel der Beute mitmachen und perfekt bremsen. So erzielt sie bei Jagden Erfolgsquoten von 50 bis 70 Prozent, die höchste bei einzeln jagenden Raubtieren. 

>> Zahlen <<

Über 100 km/h: Höchstgeschwindigkeit des Geparden bei der Jagd
240 km/h: Zugelassene Höchstgeschwindigkeit des ContiPremiumContact5

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Best Practices // 31. July 2014

Vorbild Paradiesvogelblume: Wandelbare Fassadenverschattung in der Architektur

Bionik-Innovation
Die südafrikanische Paradiesvogelblume hat den Anstoß für die Entwicklung der optimalen Jalousie gegeben. Die bionische Fassadenverschattung Flectofin® ist eine wandelbare Konstruktion, bei der sich der Klappmechanismus stufenlos einstellen und sich die Ausrichtung der Lamellen nach Bedarf verändern lassen. Verschleißanfällige und wartungsintensive Gelenke und Scharniere fehlen bei der innovativen Konstruktion völlig. So kann ein deutliches Zeichen in Richtung Nachhaltigkeit gesetzt werden. Die bionische Erfindung wurde mit dem „Techtextil Innovationpreis – Architektur“ und dem „International Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung“ ausgezeichnet.

Technische Anwendung
Ein von Professor Thomas Speck vom Botanischen Garten der Universität Freiburg und Professor Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktion und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart geführtes Forscherteam entwickelte das revolutionäre System. „Von der Natur kann man sich wie in diesem Fall den schonenden Umgang mit Ressourcen und den Leichtbau abschauen“, sagt Knippers. Die optisch an Fischkiemen erinnernde Konstruktion wurde 2012 bei der Verschattung des Expo-Pavillons im südkoreanischen Yeosu eingesetzt. Da der Klappmechanismus ohne technische Gelenke oder Scharniere funktioniert und sich die Flectofin®-Systeme auch auf aufwändig zu beschattende, gekrümmte Fassaden anbringen lassen ist die bionische Innovation ein Meilenstein für das moderne Bauwesen.

Bionisches Funktionsprinzip
„Thomas Speck brachte uns durch seine Beobachtungen der im Volksmund als Paradiesvogelblume bekannten Pflanze auf die Idee“, erzählt Knippers. „Wenn sich ein Nektarvogel auf die Blätter setzt, öffnen sich die pfeilförmigen Kronblätter nur durch das Gewicht des Vogels – und zwar ohne Gelenke, Nieten oder Schrauben.“ Dieses Prinzip wurde in die Technik umgesetzt. Die Grundlage für den Klappmechanismus ist hier ein glasfaserverstärkter Kunststoff mit hochelastischen Eigenschaften und guter Verformbarkeit. Das Auf- und Zuklappen der Lamellen ist an das Biegen eines in die Lamelle integrierten Stabes gekoppelt, wodurch sie um bis zu 90° umklappen können. Dieses Grundprinzip lässt sich zu verschiedenen Versionen weiterentwickeln.

Vorbild aus der Natur
Die bis zu zwei Meter hohe Paradiesvogelblume mit der berühmten Blüte hat für ihre Fortpflanzung über Jahrmillionen einen ganz besonderen Trick perfektioniert. Die Blume wird von Vögeln bestäubt, die sich auf einer eigens von der Pflanze gebildeten „Sitzstange“ aus verwachsenen Blütenblättern niederlassen. Durch das Gewicht des Vogels klappen die Blütenblätter auf und die Pflanze gibt Pollen ab, die der damit bestäubte Vogel auf die nächste Blüte überträgt. Vor allem der Nektarvogel nutzt diese ganz spezielle „Klapp-Möglichkeit“ sehr oft.

>> Zahlen <<

Bis zu 30 Meter
hohe Fassaden lassen sich mit Flectofin® verschatten.

41 Millionen Tonnen Öl und rund 111 Millionen Tonnen CO2
lassen sich nach Schätzungen des Physibel-Instituts in Maldegem (Belgien) pro Jahr durch intelligente Verschattungssysteme bei Gebäuden in Europa einsparen.

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Best Practices // 31. July 2014

Kleben neu erfunden – das Gecko-Tape®

Bionik-Innovation
Sie haftet auf glatten, unebenen, rutschigen, feuchten Oberflächen, sogar auf Menschenhaut: Klebefolie nach dem Gecko-Prinzip setzt mit einzigartigen Eigenschaften neue Maßstäbe. Da die Haftkraft ausschließlich auf Mikrostrukturen und elektrischen Ladungen beruht, kann das Klebematerial spurlos entfernt und wiederverwendet werden. Dadurch eröffnen sich auch in Bezug auf Materialeinsparung und Umwelt- und Ressourcenschonung ganz neue Horizonte.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam der Christian-Albrechts-Universität Kiel entwickelte die Hightech-Folie in Zusammenarbeit mit der auf Befestigungstechniken spezialisierten Firma Gottlieb Binder nach dem Vorbild der Haftmechanismen von Gecko- und Käferfüßen. „Es funktioniert auf allen ebenen und glatten Oberflächen wie Glas, lackiertem Metall, Marmor, Keramik und Kunststoff. Die Zahl der Einsatzmöglichkeiten ist riesig“, sagt Projektchef Professor Dr. Stanislav Gorb von der Universität Kiel. Neben Haushalt und Industrie − vom Greifer von CD-Spielern bis zur Halterung von Linsen in Fotoapparaten − stehen dabei auch besonders medizinische Anwendungen auf der Einsatzagenda. Schließlich haftet das Material selbst auf Menschenhaut. Kletterroboter oder die Verwendung im Weltraum müssen keine Science Fiction sein – das Gecko-Tape® haftet auch im Vakuum.

Bionisches Funktionsprinzip
Milliarden von Nanohärchen am Gecko-Fuß sind das Geheimnis der außergewöhnlichen Haftkraft. Wie stark diese ist, beweist ein Vergleich: Eine mit den Nanohärchen bestückte Briefmarke könnte einen Ziegelstein halten. Physikalisch beruht die Haftwirkung auf der zwischenmolekularen van der Waals-Kraft – die elektrostatische Interaktion bewirkt eine intermolekulare Anziehung ähnlich der eines Magneten. Dazu kommt noch die Kapillarkraft. Das Kieler Forschungsteam kam der Funktionsweise durch mikroskopische Untersuchungen und weitere Versuche auf die Spur. Und entwickelte nach dem Gecko-Vorbild eine Silikon-Folie, die in der Wissenschaft genauso wie in der Industrie für Aufsehen sorgt.

Vorbild aus der Natur
Geckos gehören zur Familie der Schuppenkriechtiere. Sie bevölkern wegen ihrer hervorragenden Anpassungsfähigkeit seit etwa 50 Millionen Jahren die Erde und haben verschiedenste Lebensräume erobert. Die beeindruckendste Fähigkeit einiger Gecko-Arten: Trotz eines Gewichts von 50 bis 100 Gramm können sie problemlos glatte Wände hochlaufen und selbst an der Decke „kleben“. Damit haben sie klare Vorteile gegenüber Nahrungskonkurrenten – sowohl was die Nahrungssuche wie auch die Fluchtmöglichkeiten betrifft.

>> Zahlen <<

29.000: Zahl der mikroskopisch kleinen Elemente pro cm² auf Gecko-Tape®
0,34 Millimeter – Dicke der Gecko-Tape® Silikonfolie

>> BIOKON-Profil <<

Prof. Dr. Stanislav Gorb wurde in der Ukraine geboren und machte in Westeuropa Karriere. Im Zentrum seines wissenschaftlichen Interesses standen schon immer Insekten und die Bionik. 1995 erhielt er mit seiner Projektidee, die Funktionsweise eines Käfer-Flügelgelenks zu untersuchen, ein zweijähriges Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft. „Heute ist Bionik in aller Munde. Aber damals hat dieses Thema fast niemanden interessiert“, sagt der Wissenschaftler, der inzwischen Professor für Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel ist, im Rückblick. Während seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er bereits zu einigen bemerkenswerten bionischen Produkten wie dem Gecko-Tape® beigetragen. Weitere Ideen liegen in der Schublade oder sind schon auf den Weg gebracht.

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Best Practices // 31. July 2014

Spinnenseide: Stärker als Stahl und elastischer als Nylon

Bionik-Innovation
Spinnenseide weist eine einmalige Kombination aus extremer Festigkeit und hoher Dehnbarkeit auf. Jetzt ist es Forschern der Technischen Universität München (TUM) und ihre Ausgründung AMSilk gelungen, das Naturprodukt synthetisch herzustellen und unter dem Namen Biosteel® marktreif zu produzieren. Dadurch ergeben sich bahnbrechende Möglichkeiten für verschiedenste Bereiche der Industrie: Das neue Produkt ist 25 mal belastbarer als ein vergleichbarer Stahldraht und schlägt Nylon bei der Dehnbarkeit um Längen.

Technische Anwendung
Die synthetisch hergestellte Spinnenseide Biosteel® hat neben ihren einzigartigen Materialeigenschaften weitere Vorteile: Sie ist hautfreundlich, glänzt wie Seide, kann Wasser aufnehmen und ist reinweiß. Sie lässt sich genauso wie ihr natürliches Pendant verarbeiten und kann gefärbt werden. Anwendungsbereiche für das bionische Hightech-Material sind Hochleistungstextilien, Sportartikel oder Gewebeträgertextilien. Es ist aber auch für die Medizintechnik − vom chirurgischen Nahtmaterial über Wundauflagen bis hin zu Umhüllungen für Implantate − geeignet. Selbst im Militärbereich könnte sie in Minenschutz-Kleidung zum Einsatz kommen. Visionäre an der TU München denken sogar über eine Art Liftseil aus künstlicher Spinnenseide von der Erde zu Raumstationen im Weltall nach.

Bionisches Funktionsprinzip
Der Biochemiker Professor Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth hatte die Idee, die chemischen und mechanischen Prozesse bei der Erzeugung von Seidenfäden zu erforschen. Im Jahr 2008 gelang es mit Arbeitsgruppen von TUM-Professor Andreas Bausch und Horst Kessler erstmals, einen künstlichen Spinnkanal zu bauen. Zwei Jahre später entschlüsselten die Wissenschaftler die molekularen Grundlagen der Fadenproduktion und fanden 2011 die Gründe für die die enorme Festigkeit des Spinnenseidenfadens heraus. Danach gelang es dem Forscher- und Technikerteam, das Material synthetisch herzustellen. Da ein einzelner Spinnenseidenfaden extrem dünn und leicht ist, müssen Hunderte Fäden zusammengesponnen werden, um eine verwertbare Faser zu erzeugen.

Vorbild aus der Natur
Über Jahrmillionen haben Webspinnen ihre ganz spezielle Art des Beutefangs perfektioniert. Ihr Spinnennetz ist viermal belastbarer als ein Stahlfaden der gleichen Dimension und kann um das Dreifache gedehnt werden, ohne zu reißen. So kann das Netz der Wucht eines aufprallenden Beuteinsekts widerstehen. Die Spinnenseide ist leicht und wasserfest, kann aber dennoch so viel Wasser wie Wolle aufnehmen. Die Gartenkreuzspinne kann zum Beispiel sieben verschieden Fadenarten weben, die unterschiedlichen Funktionen dienen.

>> Zahlen <<

0,5 kg: Gewicht des Fadens einer Gartenkreuzspinne, der um die ganze Erde reicht.

>> Fortschritte <<

1884 wurde die Kunstseide erfunden. Seither hat die chemische Industrie immer neue Fasern auf den Markt gebracht. Vom Nylon in den 1930er-Jahren über Gewebe aus Acryl, PET und Aramiden bis hin zu den heute entwickelten Mikrofasern und Spezialgeweben aus Kohlenstoff oder sogar Glas. Die Spinnenseide ist ein weiterer Meilenstein in der Textilentwicklung.

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Best Practices // 31. July 2014

Evolutionsstrategie: Nach dem Vorbild der Natur optimiert

Bionik-Innovation
Schon vor etwa 50 Jahren entwickelten die Professoren Ingo Rechenberg und Hans Paul Schwefel ein technisches Optimierungsverfahren nach dem Vorbild der biologischen Evolution. Die sogenannte Evolutionsstrategie überträgt die Grundmechanismen der biologischen Evolution auf technische Prozesse. Ziel ist das optimale Produkt. Dabei werden Lösungsvorschläge für ein Optimierungsproblem so lange auf der Basis von Zufallsprozessen analog der biologischen Mutation verändert und kombiniert, bis durch Selektion die optimale Lösung gefunden wird. Analog zur Natur, in der sich die am besten an die Umwelt angepassten Individuen im Ausleseprozess durchsetzen, können über die Evolutionsstrategie Produkte entwickelt werden, die zum Beispiel schneller oder kostengünstiger als ihre Mitkonkurrenten sind.

Technische Anwendung
Optimierte optische Linsen, Entwicklung widerstandsminimaler Strömungskörper nach Pinguin-Vorbild, die Mischung von Galvanik-Rezepturen bis hin zur Optimal-Planung des Gesundheitssystems eines Landes – die Evolutionsstrategie kann zur Entwicklung von Produkten in fast allen Lebensbereichen eingesetzt werden. Sie funktioniert auch bei der sogenannten unscharfen Optimierung: zum Beispiel bei der Erzeugung von Phantombildern bei der Polizei oder der subjektiven Komposition von Kaffeemischungen.

Bionisches Funktionsprinzip
Wie beim biologischen Vorbild werden Lösungsvorschläge, die mittels Mutation und/oder Rekombination zur Generierung neuer Lösungsvorschläge verwendet werden, als Eltern-Individuen bezeichnet. Die daraus resultierenden Lösungsvorschläge nennt man Nachkommen-Individuen. So wie es in der Natur Individuen gibt, die mehr oder weniger gut an ihre Umwelt angepasst sind, gibt es auch im technischen Fall Individuen, die das Optimierungskriterium eher erfüllen als andere. Den starken Abstraktionsgrad der Evolutionsstrategie kann man daran erkennen, dass im Gegensatz zum Vorbild Natur, wo die Nachkommen meist zwei Eltern haben, hier die Nachkommen auch nur ein Elternteil oder viele Eltern haben können. Dabei ist die Evolutionsstrategie eine Optimierungsmethode, die sehr robust ist. Auch wenn nicht immer der beste Nachkomme ausgewählt wird, führt die Evolutionsstrategie auch bei fehlerhaften Bewertungen letztlich zu einer Optimallösung.

Vorbild aus der Natur
Tiere und Pflanzen haben sich in Milliarden von Jahren optimal an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst. Möglich wird das durch das Prinzip der biologischen Evolution, durch die mittels Mutation und Rekombination die genetischen Informationen der Lebewesen ständig variiert und durch anschließend Selektion die besten Baupläne beibehalten werden. Die Selektion ist dabei das eigentliche Steuerelement, da sie nach der durch Zufallsprozesse bestimmte Mutation und Rekombination die Richtung bestimmt, in die sich die jeweiligen Lebewesen entwickeln.

>> Zitat <<

„Alles was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.“
Charles Darwin

>> Glossar <<

Evolution: aus dem lat. evolvere: „ausrollen“, „entwickeln“, „ablaufen“.

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