BIOKON – Das Bionik-Kompetenznetz

Best Practices

„I think the biggest innovations of the 21st century will be at the intersection of biology and technology. A new era is beginning.”
Steve Jobs, Apple Gründer

Die Innovationskraft der Bionik entspringt aus dem nahezu grenzenlosen Pool an biologischen Vorbildern für spezifische Antworten auf technische Fragestellungen. In beeindruckender Vielfalt schafft die Natur Inspirationen für technische Entwicklungen, die Marktrelevanz in den unterschiedlichsten Branchen haben.

Hier haben wir Erfolgsbeispiele der Bionik zusammengestellt, die wir nach dem Schema (1) Bionik-Innovation, (2) Technische Anwendung, (3) Bionisches Funktionsprinzip und (4) Vorbild aus der Natur aufbereitet haben – unterstützt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Rahmen der Förderung unseres Bionik-Unternehmensforums.

Willkommen bei den Innovationen an der Schnittstelle von Biologie und Technik.

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Uncategorized // 9. December 2014

Sternstunden der Evolutionsstrategie − ein halbes Jahrhundert Zickzack mit Darwin

Für Bioniker war es ein Doppeljubiläum der besonderen Art: Prof. Dr. Ingo Rechenberg, einer der Bionik-Pioniere und BIOKON-Gründungsmitglied, beging am 20.11.2014 seinen 80. Geburtstag. Gleichzeitig war es der 50. Jahrestag der Vorstellung der Evolutionsstrategie, die von Professor Rechenberg für die Lösung ingenieurtechnischer Herausforderungen entwickelt wurde.  

Am 18. November 1964 titelte der SPIEGEL „Zickzack nach Darwin“. Genau 50 Jahre später referierte Prof. Rechenberg bei einem interdisziplinären Symposium an der Universität Jena, das an sein bahnbrechendes »Darwin-im-Windkanal-Experiment« erinnerte zu den „Sternstunden der Theorie der Evolutionsstrategie“.  

Fünfzig Jahre zurück: Gemeinsam mit seinen damaligen Kommilitonen Peter Bienert und Hans-Paul Schwefel führte der damalige Luftfahrtstudent Ingo Rechenberg an der Technischen Universität Berlin ein Schlüsselexperiment im Windkanal durch. Es ging um die Bestimmung der idealen Form von Flügeltragflächen mit dem geringsten Widerstand mithilfe des Evolutionsprinzips. Rechenberg stellte dieses Experiment dann mit Hilfe der Film-Zeitraffer-Technik auf einer Tagung in Berlin vor – ein wissenschafts- und technikhistorisch bedeutsames Ereignis.  

Hätten die Wissenschaftler die verschiedenen Einstellungen des Flügelprofils systematisch getestet, hätte es Jahre gedauert, die widerstandsärmste Flügelform zu finden. Doch durch die Anwendung von Selektion und Variation benötigten sie nur wenige Tage. Variation und Rekombination sind Konzepte die vor allem aus der Evolutionsbiologie bekannt sind. Bei der Evolutionsstrategie werden diese Prinzipien zur Optimierung technischer Systeme angewendet, um Produkte und Prozesse robust und effizient zu optimieren − auch bei solchen Problemen, bei denen andere Optimierungsverfahren versagen.  

Die Evolutionsstrategie  

Die Anwendungsbandbreite der Evolutionsstrategie reicht von der Optimierung von Prozessabläufen über die Anpassung von subjektiv zu beurteilende Produkteigenschaften und der Erstellung von Vorhersagemodellen von sozialem Verhalten oder der Entwicklung von Finanzmärkten bis hin zur Auslegung von Bauteilen und Großkonstruktionen.  

Die Evolutionsstrategie kann in unterschiedlichen Stadien des Projektverlaufs ohne größeren Aufwand eingesetzt werden, so z.B. in der Anfangsphase zur Ermittlung von Ausgangmodellen, während des Projektes zur Selektion und Identifikation von Prozessparametern und selbstverständlich für die „Hauptoptimierung“ und letztlich auch zur Optimierung des technischen Herstellungsverfahrens für das Ergebnis bzw. Produkt.  

Die Optimierung kann anhand von Computermodellen und Simulationen erfolgen, wie bei Schiffspropellern erfolgreich zur Minimierung des Treibstoffverbrauchs eingesetzt. Auch Optimierungsaufgaben mit verrauschten Zielfunktionen, die also durch externe Einflüsse gestört werden, wie bei Rohrkrümmern zur Reduktion des Druckverlustes, sind lösbar, oder zu optimierende Systeme mit korrelierten Parametern, also voneinander abhängigen Variablen, wie zum Beispiel bei der Modellidentifikation oder beim Regler-Design.  

Sind die Parameterkonstellationen zu komplex, um sie über Formeln abbilden zu können, ist es mit Hilfe der Evolutionsstrategie auch möglich, die Bewertung der einzelnen Entwicklungsschritte auf Grundlage von experimentell ermittelten Messergebnissen vorzunehmen. So wurden beispielsweise Strömungsprofile hinsichtlich der Widerstandsminimierung optimiert. Industrierelevant ist ferner die Optimierung mit subjektiver Bewertung, also die Bewertung durch den Menschen, wenn es zum Beispiel um Sinneswahrnehmung geht und eine Farbe, ein Geräusch oder ein Geschmack verglichen und optimiert werden soll. Ein Beispiel hierfür ist die Optimierung des Designs von Radfelgen nach mechanischen und ästhetischen Kriterien.  

Ingo Rechenberg  

Gemäß des Spruches „Einen Naturvorgang verstehen heißt, ihn in Mechanik zu übersetzen“ (Hermann von Helmholtz) hat Rechenberg schon von frühester Jugend an versucht, Naturphänome bei Saalflugmodellen einzusetzen. Später studierte er Maschinen- und Flugzeugbau. Motiviert durch die Vorlesungen von Johann-Gerhard Helmcke über Evolution, setzt er anfangs alleine und dann mit seiner Arbeitsgruppe evolutionäre Prinzipien zur Lösung technischer Probleme ein.  

Als einer der weltweiten Vorreiter der Bionik, wird Ingo Rechenberg 1972 an den Lehrstuhl „Bionik und Evolutionstechnik“ der TU Berlin berufen. Er ist somit einer der ersten in Deutschland, der Bionik als Wissenschaftsrichtung etabliert hat. Seine Beiträge reichen von der Evolutionsstrategie als ein universelles Optimierungswerkzeug über die Windkraftanlage BERWIAN bis hin zu Projekten zur photobiologischen Wasserstofferzeugung. Sein aktuelles Arbeitsgebiet ist die Umsetzung von biologischen Prinzipien, die er in der Wüste Sahara findet, wie z.B. verschleißarme Oberflächen nach dem Vorbild des Sandfisches, eine „Bionik-Pumpe“, die ohne Mechanik mit Hilfe der Sonnenenergie nach dem Vorbild von Pflanzen Flüssigkeiten transportiert oder die rollende Lokomotion nach dem Vorbild der mittlerweile nach ihm benannten Spinne Cebrennus rechenbergi.  

Bereits seit 1982 begibt sich Rechenberg jährlich mit seinem Expeditionsfahrzeug in die Wüste Erg Chebbi am Rand der Sahara in Südmarokko – seine Begeisterung für die Bionik und speziell das Studieren und Nutzen von Ergebnissen der biologischen Evolution treibt ihn an; eine Begeisterung, die er bis heute in seinen Vorlesungen an der TU Berlin auch an die Studierenden weitergibt.

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Uncategorized // 28. October 2014

Internationaler Bionic Award für Entwicklung wasser- und ölabweisender Oberflächen

Der internationale Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung geht in diesem Jahr an ein dreiköpfiges, interdisziplinär zusammengesetztes Team vom Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden. Den mit 10.000 Euro dotierten Nachwuchsforscherpreis erhielten Dr. René Hensel, Dr. Ralf Helbig und Dipl.-Biol. Julia Nickerl für ihre herausragenden Leistungen zur Entwicklung robuster, wasser- und ölabweisender Polymer-Membranen nach dem Vorbild der Hautstrukturen von Springschwänzen.

Die Verleihung durch Marc Schauenburg, Repräsentant der Schauenburg-Stiftung, fand am 24.10.2014 im Rahmen des Bionik-Kongresses „Patente aus der Natur“ in Bremen statt. Der International Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft wird von der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences vergeben.

Das Gewinner-Team aus Sachsen hat im Rahmen ihrer Arbeiten die Morphologie und Chemie der Haut von Springschwänzen (Collembola), kleinen im Boden lebende Insekten, charakterisiert. Dabei wurden die grundlegenden Merkmale der Tiere hinsichtlich Benetzungsverhalten und mechanischer Stabilität in eine künstliche Membran mit bio-inspirierter Oberflächenstrukturierung übertragen. Mithilfe dieses bionischen Ansatzes konnte der Anwendungsbereich wasserabweisender Oberflächen auf verschiedenste Flüssigkeiten erweitert und mit einem langlebigen, mechanisch stabilen Strukturmodell vereint werden.

Die Nachwuchsforscher überzeugten mit dieser Idee die internationale Experten-Jury. „Die ausgezeichnete Arbeit ist eine bahnbrechende Weiterentwicklung des bekannten Lotus-Effekts“, erklärt Jurymitglied und BIOKON-Vorstandsvorsitzende Professorin Antonia Kesel von der Hochschule Bremen. „Die einzigartigen Benetzungseigenschaften der Springschwanzoberfläche ermöglichen die Entwicklung innovativer Materialien mit neuen Einsatzgebieten wie beispielsweise im Arbeitsschutz.“

„Interdisziplinäres Arbeiten und konstruktives Querdenken sind Grundvoraussetzungen in der Bionik und auch für Unternehmen die Basis des Erfolgs“, sagt Marc-Georg Schauenburg, Sohn des Stifters des Bionic Awards. „In diesem Jahr waren besonders viele überzeugende Konzepte dabei.“ So wurde ein Team des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Kiyoharu Nakajima, Kai Tausch, Patrick Maurer und Luis Paulo entwickelten mit SIREXTM einen Pendelhubbohrer für die orthopädische Chirurgie nach dem Vorbild der Holzwespe und könnten damit die Orthopädie und Prothetik revolutionieren. Darüber hinaus wurden Adrian Klein und Hendrik Herzog von der Universität Bonn sowie Harmen Droogendijk von der Universität Twente mit den beiden dritten Plätzen ausgezeichnet.

Save the date: Bewerbungen für den Bionic Award 2016

Im Jahr 2016 wird der International Bionic Award zum fünften Mal vergeben. Anmeldeschluss für Bewerbungen ist 29.02.2016. Die Ausschreibebedingungen und alle relevanten Informationen sind auf der Homepage des International Bionic Awards zu finden.

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Forschung // 10. October 2014

Bionisches Auge lässt Blinde wieder sehen

Die kalifornische Firma Second Sight Medical Products hat eine Netzhautprothese entwickelt, bestehend aus einer Brille mit einer Minikamera, einem Mikrochip und Elektroden, die auf die Netzhaut blinder Patienten implantiert werden. Die Brille sendet die Videosignale an einen Mikrochip, welcher die Signale in elektrische Impulse umwandelt und per Drahtlosverbindung direkt an die auf der Retina befindlichen Elektroden weiterleitet. Die Nervenzellen auf der Netzhaut nehmen die Signale als Licht wahr. Das „bionische Auge“ ist unter dem Namen Argus II Retinal Prosthesis System erhältlich. Blinde könnten mit dessen Hilfe wieder sehen und im besten Fall sogar wieder lesen, so Robert Greenberg, CEO von Second Sight Medical Products.

Im Prinzip funktioniert das Implantat wie ein Bypass, der die kranken Zellen umgeht und elektronisch die gesunden Zellen stimuliert. Die Augenprothese bietet so die Möglichkeit, vollkommen erblindeten Patienten mit bestimmten Netzhauterkrankungen eine wirksame Behandlung anzubieten. Mit einem speziellen Training lernen sie, zumindest Teile ihrer Umgebung wieder zu erkennen. Das ist zwar kein normales Sehen, aber eine enorme Steigerung der Lebensqualität und Unabhängigkeit. Die meisten Patienten erhalten immerhin einen Teil ihres Sehvermögens zurück.

Lisa Kulik, die seit 30 Jahren an einer degenerativen Netzhautentzündung (Retinitis pigmentosa) leidet, ist eine der Testpersonen. Das erste, was sie mit dem Mikrochip sehen konnte, war der Vollmond im Himmel, berichtet Kulik bei CNBC Innovation Cities. „Einige Wochen später konnte ich das Feuerwerk am vierten Juli beobachten, das hatte ich schon seit 30 Jahren nicht mehr gesehen.“

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass es weltweit rund 285 Millionen Menschen mit Sehbehinderungen gibt, davon sind 39 Millionen blind. Greenberg ist deshalb überzeugt, dass das Potenzial des bionischen Auges riesig ist. Im nächsten Schritt will er mit seinem Team die Technologie weiterentwickeln und ein Implantat direkt im visuellen Bereich des Gehirns platzieren. Das sei die direkte Schnittstelle zur Wiederherstellung des Sehvermögens und unabhängig von der Ursache der Erblindung.

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Presse // 26. August 2014

Neuartiges Pflaster ohne Klebstoff

Amerikanische Forscher experimentieren mit einem neu entwickelten Pflaster, das nicht mit Klebstoff beschichtet, sondern mit Hunderten von Mikronadeln aus Kunststoff besetzt ist. Diese dringen in das Gewebe ein, schwellen dort an und haften fest. Das Pflaster schont die Haut und lässt sich leicht wieder entfernen, berichtet die Deutsche Apotheker Zeitung.

Das Vorbild des neuen Pflastertyps ist der Kratzwurm (Pomphorhynchus laevis), ein Fischparasit. Dieser will möglichst lange in seinem „Lebensraum“ bleiben und nicht seinen Wirt verlassen. Deshalb dringt der Wurm mit seinem dünnen „Rüssel“ in die Darmwand ein, wo der Rüssel durch die Einlagerung von Wasser sein Volumen vergrößert und dadurch fest im Gewebe verankert wird.

Während der Kratzwurm nur einen einzigen Anker besitzt, ist das neuartige Pflaster dicht mit Nadeln besät. Sie haben einen Kern aus Polystyren, der seine Form nicht verändert, und eine Spitze aus einem Gemisch von Polystyren und Polyacrylat, das Wasser aufnehmen kann und dabei anschwillt. Sobald die Nadeln ins Gewebe eingedrungen sind, nehmen sie Wasser auf und verankern sich darin.

Krankenhausärzte um Jeffrey Karp in Boston, die das Pflaster entwickelt haben, sehen Anwendungsmöglichkeiten vor allem dort, wo eine sichere Fixierung wichtig ist. Dies ist bei transplantierter Haut – z.B. bei Patienten mit schweren Verbrennungen – der Fall, die derzeit in der Regel durch Klammern fixiert wird. Das Pflaster scheint hier die ideale Alternative zu sein, denn es sitzt fester, beeinträchtigt das Gewebe mitsamt den Nerven und Gefäßen weniger und verringert auch noch das Infektionsrisiko. Zudem lässt sich das Pflaster schonend entfernen, wenn es seine Funktion erfüllt hat.

Nach Meinung seiner Erfinder hat das Pflaster weiteres Potenzial: Die Nadelspitzen könnten mit Arzneistoffen wie Antibiotika oder wundheilungsfördernden Substanzen beladen werden, die dann nicht mehr die Barriere der Hornzellschicht zu durchdringen brauchten, sondern direkt in das lebende Gewebe der Haut gelangen und dort ihre Wirkung entfalten.

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Presse // 21. August 2014

Leise wie ein Eulenflügel

Ziehl-Abegg hat im Bereich der Lüftungstechnik für einen neuen Ventilator den Flügel nach dem Vorbild einer Eule geformt. Das Ergebnis: Der Ventilator ist flüsterleise. Zudem wird dieser „bionische Ventilator“ aus einem bio-basiertem Polyamid von Akro-Plastic hergestellt.

Ziehl-Abegg hat die Vorteile der Bionik erkannt und entsprechend in der Formgestaltung ihrer neuen Ventilatorgeneration umgesetzt. Besonders der extrem leise Flug der Eule hat die Entwickler des Unternehmens inspiriert. Ventilatorenflügel mit einer gezackten Hinterkante, wie beim Eulenflügel, sind nun in vielen Bereichen markantes Kennzeichen von Produkten des Künzelsauer Industrieunternehmens. Diese Geometrie nach Vorbild des Eulenflügels reduziert das Geräusch des Ventilators maßgeblich. „Indem wir bionische Erkenntnisse in die Entwicklung unserer Ventilatoren einfließen lassen, stoßen wir in ganz neue Sphären bei Energieeinsparung und Geräuschreduzierung vor“, erklärte Norbert Schuster, Technikvorstand bei Ziehl-Abegg.

Neu ist der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen für die Kunststoffherstellung. „Damit können wir schon bei der Produktion den CO2-Fußabdruck von Ventilatoren deutlich reduzieren“, erklärte Schuster den Prototyp eines bionischen Ventilators aus Bio-Kunststoff.
Als Material für den neuen Axialventilator wählte man das biobasierte Polyamid 6.10 von Akro-Plastic (Akromid S), das die gängige Definition eines Biokunststoffs erfüllt. Es besitzt einen bis zu 70%-igen biogenen Kohlenstoff-Anteil.

Diese extrem leisen und energieeffizienten Ventilatoren werden zukünftig in der Kältetechnik, in Heizungen, Wärmepumpen und zur Elektronikkühlung ihren Einsatz finden. In diesen Bereichen sorgen sie dafür, dass neben einem ressourcenschonenden Werkstoffeinsatz auch die Geräuschemission deutlich reduziert wird. Das umweltfreundliche bionische Konzept von Ziehl-Abegg wurde in verschiedenen Wettbewerben durch Auszeichnungen honoriert.

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Best Practices // 1. August 2014

Solarabsorber FracTherm® – Energie effizient übertragen

Bionik-Innovation
Bei der Nutzung fossiler und erneuerbarer Energieträger zählen Wärmetauscher zu den wichtigsten Komponenten. Zu ihnen gehört auch das Herzstück eines Sonnenkollektors, der Solarabsorber. In ihm wird die Sonnenstrahlung aufgenommen und an das Wärmeträgermedium weitergegeben. Herkömmliche Solarabsorbers haben oft mit Problemen wie ungleichmäßige Durchströmung oder Druckabfall zu kämpfen – dadurch sinkt ihre Energieeffizienz. Deshalb wurde vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE die sogenannte FracTherm-Technologie entwickelt. Sie ermöglicht nach dem Vorbild vergleichbarer biologischer Strukturen, wie Blutgefäße oder Blattadern, eine effiziente Durchströmung von Solarabsorbern und verbessert dadurch die Energieeffizienz. Das bringt nicht nur finanzielle Vorteile. Es wird dadurch auch weniger Energie aus fossilen Brennstoffen oder Atomstrom benötigt. Das schont die Umwelt.

Technische Anwendung
Mit FracTherm® lassen sich individuelle Lösungen für Wärmetauscherstrukturen nach Kundenwunsch realisieren. Einige Firmen, wie die italienische CGA Technologies S.p.A., haben bereits Verträge über eine Nutzung des Patents angemeldet. „Die FracTherm®-Technologie ermöglicht eine flexible Gestaltung der Kanalnetzwerke von Solarabsorbern. Die Herstellung derartig komplexer Strukturen stellt hohe Anforderungen an die Fertigungstechniken und -möglichkeiten“, erklärt Michael Hermann, Teamleiter „Wärmeübertrager und Kollektorentwicklung“ am Fraunhofer ISE. Die neue, bionische Technologie ist bereits im großen Markt moderner Heizsysteme angekommen.

Bionisches Funktionsprinzip
In der Natur existieren Netzwerke von Strömungskanälen, die eine energieeffiziente Wärme- und/oder Stoffübertragung garantieren. Beispiele dafür sind Blutbahnen oder Blattadern. Die natürlichen Konstruktionen sind in der Regel jedoch weder seriell noch parallel aufgebaut –wie zum Beispiel auch herkömmliche Solarabsorber in der Technik. In der Natur werden meist mehrfach verzweigte Strukturen verwendet, die mathematisch als „Fraktale“ beschrieben werden. Am Fraunhofer ISE wurde nach dem natürlichen Vorbild ein Algorithmus entwickelt und zum Patent angemeldet, der derartige natürliche Strukturen auf die Technik überträgt. Mit Hilfe dieses FracTherm®-Algorithmus kann eine vorgegebene Fläche nach Festlegung des Ein- und Austrittspunktes mit einer geeigneten fraktalen Hydraulikstruktur versehen werden.

Vorbild aus der Natur
In den Blutgefäßen wird das Blut durch den menschlichen Körper transportiert – und das höchst energieeffizient. Damit wird sichergestellt, dass jede einzelne Zelle des Körpers mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und Stoffwechselendprodukte aus den Zellen zu den Ausscheidungsorganen transportiert werden. Auch Botenstoffe und Bestandteile des Immun- und Blutgerinnungssystems werden über die Blutgefäße an jene Stellen gebracht, an denen sie benötigt werden. Zusammengenommen erreichen die weit verzweigten Blutgefäße im menschlichen Körper eine Länge von bis zu 90.000 Kilometer – das entspricht mehr als dem Doppelten des Erdumfangs. Das Herz ist die zentrale Pumpstation – sie schlägt im Leben durchschnittlich drei Milliarden Mal und befördert über 18 Millionen Liter Blut durch den Körper.

>> Zahlen <<

90.000 km: Länge der Blutgefäße im menschlichen Körper.

3 Milliarden Schläge umfasst die durchschnittliche Lebensleistung des menschlichen Herzens. Das werden 18 Millionen Liter Blut durch das Adersystem gepumpt.

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Best Practices // 1. August 2014

Wenn sich Werkstoffe selbst heilen

Bionik-Innovation
Autos oder Flugzeuge, die sich quasi selbst reparieren, ein angeknackstes Handy-Display, das sich selbst heilen kann – diese Träume der Verbraucher könnten sich in absehbarer Zeit schon erfüllen. Ein gemeinsames Bionik-Forschungsvorhaben der Plant Biomechanics Group Freiburg mit dem Fraunhofer-Institut UMSICHT und dem Freiburger Materialforschungszentrum ebnete den Weg für die ersten Schritt dorthin. Darin wurden nach dem Vorbild von Selbstheilungsprozessen bei Pflanzen selbstreparierende Elastomere entwickelt, aus denen die Firma Gummi- und Kunststofftechnik Fürstenwalde GmbH langlebige Auspuffaufhängungen als Prototypen herstellt. Dies können Mikrorisse „ausheilen“, die sonst zum Materialbruch führen würden.

Technische Anwendung
Neben den Auspuffaufhängungen sind zahlreiche andere technische Anwendungen in der Entwicklungsphase – im ersten Schritt vor allem bei Komponenten, die aus Elastomeren bestehen und dauernden mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt sind. Beispiele dafür sind Faltenbälger und Schwingungsdämpfer. Besonders interessant sind auch selbstheilende Dichtungsringe – so könnten nicht nur Instandhaltungskosten verringert sondern auch schädliche Emissionen oder Leckageverluste verhindert werden. Das würde die Sicherheit von Anlagen und Rohrsystemen entscheidend erhöhen. Ein mindestens genauso großes Potenzial haben selbstheilende Lacke bei Autos oder Flugzeugen oder sich „selbst reparierende“ Handy-Displays.

Bionisches Funktionsprinzip
Vorbild für diese selbstreparierenden Gummiwerkstoffe sind Selbstheilungsprozesse bei milchsaftführenden Pflanzen wie zum Beispiel der Birkenfeige. Die Plant Biomechanics Group Freiburg analysierte die Prozesse der biologischen Selbstheilung eingehend, anschließend werden sie bei den materialwissenschaftlichen Partnern wie beim Materialforschungszentrum von Fraunhofer in technische Lösungen überführt. „Die innovativen Materialien sind in der Lage, Mikrorisse auszuheilen und erreichen nach einem makroskopischen Schnitt und anschließender Reparatur nahezu ihre ursprünglichen mechanischen Kennwerte“, fasst Max von Tapavicza vom Fraunhofer-Institut Erkenntnisse der Forschungen zusammen. Bislang konnten die technischen Elastomere EPDM (Ethylene-Propylene-Dien-Kautschuk Typ M) und NBR (Nitril-Butadien-Kautschuk) sowie ein thermoplastisches Elastomer (TPE) mit einer Selbstheilungsfunktion ausgestattet werden. Darin spielen nach dem Vorbild der Natur auch Ionen eine Rolle.

Vorbild aus der Natur
Die Birkenfeige ist auch als „Ficus Benjamini“ bekannt und gehört zu den Maulbeergewächsen. Sie ist in Asien und Australien und beheimatet und hat von dort aus ihren Siegeszug als Zimmerpflanze angetreten. Sie verfügen über eine erstaunliche Eigenschaft: Wird die Pflanze verletzt, sorgen ein Protein und ebenfalls im Milchsaft enthaltene Latexpartikel für einen perfekten Wundverschluss.

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Best Practices // 1. August 2014

Bionik-Propeller: ein leiser Lüfter nach Adler-Art

Bionik-Innovation
Das Brummen von Lüftern kann ganz schön nerven – ob nun am Computer oder am Zimmerventilator. Der leiseste Lüfter der Welt kann da Abhilfe schaffen. Entwickelt wurde der bionische Schlaufenpropeller nach dem Vorbild der Schwingen des Adlers, der majestätisch scheinbar ohne Flügelschlag durch die Luft gleitet. Das Geheimnis dahinter ist der geringe Luftwiderstand. Der nach diesem Vorbild durch die Verbindung der Flügelenden entwickelte Bionik-Propeller vermindert nicht nur die Lärmemissionen, er könnte in Zukunft auch Windparks revolutionieren. Darüber hinaus haben Multiwinglets nach dem Adler-Vorbild für die Tragflächengestaltung das Zeug, Millionen Tonnen Treibstoff zu sparen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam um den Bioniker Dr. Rudolf Bannasch entwickelte das Prinzip des Schlaufenrotos. Im Rahmen eines Forschungsprojekts entstand eine Lüfterserie, die in fast allen Bereichen die Spitze der aktuellen IT-Axial-Lüfter-Technik erreicht. Bionik-Propeller sind 30 Prozent leiser als herkömmliche Modelle – speziell in Rechenzentren bringt das eine signifikante Verminderung des Lärms. Es bieten sich auch Chancen in ganz anderen Einsatzgebieten: Bei einem Test des Schlaufenpropellers an einem Schubschiff, das Hunderte Tonnen Kies bewegt, konnte eine Erhöhung der Schubleistung um fast 20 Prozent erreicht werden. Auch in großen Windparks könnte der Schlaufenpropeller eine wesentliche Erhöhung der Effizienz und mehr Energieproduktion bewirken.

Bionisches Funktionsprinzip
Adler erreichen im Flug durch das Aufspreizen ihrer Handschwingen weniger Luftverwirbelungen. Dadurch reduziert sich der induzierte Strömungswiderstand, da dieser vom Quadrat des Wirbeldurchmessers abhängt. So nimmt der Luftwiderstand ab, der Vogel spart Energie. Die Bioniker entwickelten dieses Prinzip konsequent weiter und konnten durch die Schlaufenform erreichen, dass normalerweise am Ende des Propellerarms auftretende Turbulenzen verschwinden. Es bildet sich praktisch eine unendliche Tragfläche ohne Abrisskanten, die deutlich leiser und energiesparender funktioniert.

Vorbild aus der Natur
Seevögel wie der Albatros können auch deshalb Tausende Kilometer fliegen, weil sie durch langgestreckte Flügel und schmale Flügelenden einen niedrigen induzierten Strömungswiderstand haben und damit Energie sparen. Der Steinadler reduziert seinen Randwiderstand durch die aufgestellten Handschwingen. So kann er auf der Suche nach Beute lange in der Luft kreisen, ohne häufig mit den Flügeln schlagen und Energie verbrauchen zu müssen. Steinadler haben bei einer Flügelspannweite von etwa zwei Metern elf Handschwingen.

>> Zahlen <<

Leise Kraftprotze
Im Vergleich zu konventionellen Propellern können bionische Schlaufenrotoren von Windraftanlagen im Durschnitt 30 Prozent mehr Energie erzeugen – und das bei nur halb so viel Geräuschemissionen (Quelle: EvoLogics GmbH).    

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Best Practices // 1. August 2014

Millionen Tonnen Treibstoff sparen mit dem Salvinia-Effekt®

Bionik-Innovation
Die schneebesenartigen Haare einer Pflanze schaffen es, dauerhaft eine Luftschicht unter Wasser zu halten. Bionik-Forscher wollen diesen sogenannten Salvinia-Effekt® nutzen und Schiffe künftig mittels eines speziellen Schiffsanstrichs quasi in einer Luftblase schwimmen lassen. So könnte der durch Reibung des Schiffsrumpfs im Wasser entstehende Energieverlust um bis zu zehn Prozent gesenkt werden. Ein Prozent des in diesem Bereich anfallenden globalen Rohölverbrauchs – das sind Millionen Tonnen Treibstoff – könnten so jährlich gespart werden. Das dient der Ressourcenschonung wie dem Umweltschutz gleichermaßen. „Gelingt der Transport dieses Natur-Phänomens in die Technik, könnten Reedereien wegen der Treibstoffersparnis signifikant Kosten reduzieren. Zugleich profitiert wegen des sinkenden Treibstoffausstoßes die Umwelt“, sagt Professor Wilhelm Barthlott dazu.

Technische Anwendung
Das von Bionikpionier Wilhelm Barthlott an der Universität Bonn geleitete Forschungsrojekt wurde in Zusammenarbeit mit weiteren Universitäten und hochkarätigen Partnern aus der Wirtschaft durchgeführt. Neben der morphologischen und biomechanischen Charakterisierung spielt die strömungsmechanische Untersuchung mittels hochauflösender „Mikro Particle Image Velocimetry“ eine zentrale Rolle. Die Übertragung wasserabweisender Oberflächen aus der Natur – wie sie neben Schwimmfarnen auch Insekten sowie einige Spinnen, Vögel und Säugetiere nutzen – ist bereits geglückt. Die entwickelten Oberflächenstrukturen wurden patentiert. Künftig sollen Schiffe mit einem bionischen Bootslack durch die Meere gleiten, der den Kontakt von Wasser mit dem Schiffsrumpf verhindert.

Bionisches Funktionsprinzip
Salvinia-Schwimmfarne nutzen unter Wasser auf ihrer Oberfläche einen dünnen Luftfilm, der die Pflanze wochenlang trocken hält. Verantwortlich für diesen Salvinia-Effekt® sind feine Härchen auf der Blattoberfläche. Die deutschen Forscher haben deren Wirkungsweise entschlüsselt. Große Bereiche sind mit feinen Wachskristallen besetzt und dadurch wasserabweisend. Die äußersten Spitzen der Härchen sind dagegen wasseranziehend. Das führt dazu, dass ein Film von Luftbläschen zwischen der Pflanzenoberfläche und der von den Haarspitzen angezogenen Wasserschicht entsteht. So baut sich eine schützende Hülle auf, die künftig auch Schiffe umgeben soll.

Vorbild aus der Natur
Schwimmfarne kommen vor allem in stehenden oder langsam fließenden Gewässern in den tropischen Gebieten Mittel- und Südamerikas vor. Sie sind bis zu 20 Zentimeter große Pflanzen, die wegen ihrer perfekten Anpassung ganze Wasseroberflächen überwuchern können. Ihre Wachstumsgeschwindigkeit ist die höchste aller Gefäßpflanzen weltweit. Sie kann ihre Biomasse innerhalb von vier Tagen verdoppeln. Für ihren ökologischen Erfolg spielt der Salvinia-Effekt® eine entscheidende Rolle.

>> Zahlen <<

4 Millionen Tonnen beträgt die mögliche jährliche Treibstoffersparnis durch Schiffsanstrich mit Salvinia-Effekt®.

12 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Emissionen lassen sich pro Jahr durch Schiffsanstrich mit Salvinia-Effekt® vermeiden.

>> BIOKON-PROFILE <<

Professor Dr. Wilhelm Barthlott, Botaniker, Biologe und BIOKON-Ehrenmitglied, ist ein Pionier der Verbindung von Biologie und Technik. Aus seinen systematischen elektronenmikroskopischen Forschungen pflanzlicher Oberflächen entwickelte er selbstreinigende (Lotus-Effekt) und permanent unter Wasser lufthaltende Oberflächen (Salvinia-Effekt). Wilhelm Barthlott erhielt für seine Arbeit zahlreiche Auszeichnungen wie den Deutschen Umweltpreis.

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Best Practices // 1. August 2014

Von den Ratten abgeschaut: Selbstschärfende Messer in Industriemaschinen

Bionik-Innovation
Stumpfe Messer, Klingen und andere Schneidwerkzeuge sind in der Industrie ein allgegenwärtiges Problem. Vor allem die Betreiber von Schneidemühlen und Recycling- sowie Kunststoff-Fabriken müssen ihre Maschinen regelmäßig stoppen, um die sich schnell abnutzenden Messer auszubauen, zu schleifen und wieder einzusetzen. Der Stillstand kostet auf Dauer viel Geld. Forscher vom Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) in Oberhausen fanden eine Lösung für das Problem in der Natur. Die Zähne von Nagetieren wie Ratten bleiben ein ganzes Leben lang scharf – obwohl sie selbst härteste Materialien wie Metall durchdringen. Nach diesem Vorbild wurde ein neues, selbstschärfendes Bionik-Messer entwickelt.

Technische Anwendung
Die Verwendung selbstschärfender bionischer Messer bringt der Industrie zahlreiche Vorteile. Neben der Produktivitätssteigerung durch geringere Wartungszeiten wird die Schneidequalität erhöht. Zugleich steigt durch den verminderten Abrieb die Haltedauer der Produkte – damit wird weniger Stahl verbraucht. Die dauerhaft scharfen Messer sorgen zudem dafür, dass für den Schneidevorgang weniger Energie aufgewendet werden muss – das schont die Umwelt. Neben der industriellen Anwendung in Schneidemühlen, Kunststoff- oder Recycling-Fabriken ist die Entwicklung zum Beispiel auch für Köche oder im Haushalt interessant.

Bionisches Funktionsprinzip
Die Schneidezähne von Ratten bestehen innen aus weichem Dentin und außen aus hartem Zahnschmelz. Das Prinzip der Selbstschärfung entsteht durch den unterschiedlich starken Abrieb der beiden Materialien wegen ihrer unterschiedlichen Härte. Das weiche Dentin wird beim Nagen ständig abgerieben. Der Zahnschmelz ist jedoch härter und bildet deshalb stets eine scharfe Schnittkante. Das natürliche Prinzip wurde von den Wissenschaftlern transferiert. Im Bionik-Messer befindet sich innen eine Hartmetallmischung – wie das Dentin beim Nager. Darüber wurde eine dünne Schicht aus extrem harter und widerstandsfähiger Keramik gezogen – sozusagen der harte Zahnschmelz. Um die Belastungen beim Schneiden besser zu verteilen, ist die Außenkante der Klinge zudem leicht gewölbt.

Vorbild aus der Natur
Ratten sind Nagetiere, die weltweit in 65 Arten vorkommen. Sie sind von den Menschen als Krankheitsüberträger gefürchtet, besitzen aber viele bemerkenswerte Eigenschaften. Sie vermehren sich extrem schnell und können sich an verschiedenste Lebensumstände anpassen. Ein Schlüssel dafür sind ihre Zähne. Diese wachsen jede Woche zwei bis drei Millimeter und können wegen ihres speziellen Aufbaus selbst härteste Materialien wie Holz, Metall oder Beton durchnagen. Trotzdem bleiben die Zähne immer scharf.

>> IM PROFIL <<

Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen versteht sich als Vorreiter für technische Neuerungen in den Bereichen Energie, Prozesse und Produkte und will nachhaltiges Wirtschaften, umweltschonende Technologien und innovatives Verhalten voranbringen, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zu fördern. Als eines von 66 Instituten und selbstständigen Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft ist UMSICHT weltweit vernetzt und fördert die internationale Zusammenarbeit.
www.umsicht.fraunhofer.de

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Best Practices // 1. August 2014

Der Prachtkäfer macht’s vor: mit Infrarotsensoren Großbrände verhindern

Bionik-Innovation
Waldbrände verursachen allein in der Europäischen Union (EU) jedes Jahr Schäden von 2,5 Milliarden Euro. Um zerstörende Großfeuer künftig durch ihre frühere Erkennung und Bekämpfung verhindern zu können, werden in einem vom Institut für Zoologie der Universität Bonn geführten Bionik-Projekt neuartige technische Sensoren entwickelt. Das natürliche Vorbild wurde bei feuerliebenden Insekten wie dem Prachtkäfer gefunden. Sie können mittels spezieller Infrarotrezeptoren das Feuer „spüren“. „Eine effektive Früherkennung kann helfen, die Entstehung von verheerenden Großbränden zu verhindern. Neuartige bionische Infrarotsensoren, die im Rahmen des Projektes auch nach dem Vorbild des Prachtkäfers entwickelt werden, sollen künftig dabei helfen", erklärt Projektchef Professor Helmut Schmitz von der Uni Bonn. Gibt es weniger Brände, vermindern sich auch die schädlichen Rauchgase – damit wird neben der Tier- und Pflanzenwelt zugleich die Atmosphäre geschont.

Technische Anwendung
Die neuartigen bionischen Sensoren zeichnen sind durch die relativ einfache Bauweise, die kostengünstige Herstellung, die starke Miniaturisierung des einzelnen Sensorelements und eine geringere Störanfälligkeit aus. Das garantiert die Herstellung robuster sowie kostengünstiger Feuermelder und die Produktion von Feuer- sowie Hitzedetektoren in Gebäuden und Fahrzeugen. Kostengünstige wärmebildgebende Sensoren könnten zudem als Nachtsichtassistenten in Automobilen, Infrarotsichtgeräten für Feuerwehreinsätze sowie der Grenzüberwachung und Minensuche eingesetzt werden. Weitere Anwendungsfelder sind Diagnoseverfahren in der Medizin, Temperaturüberwachung in der Industrieproduktion oder die Qualitätssicherung im Baugewerbe. Beispielsweise ermöglichen kostengünstige Infrarotsichtgeräte, dass Hausbesitzer selbst Wärmeleckagen ihrer Häuser ermitteln und Verbesserungen an der Dämmung durchführen können. Dies hilft bei der Energieeinsparung im privaten Bereich.

Bionisches Funktionsprinzip
Bestimmte Insekten fliegen gezielt Waldbrände an, um die durch das Feuer entstehenden Nahrungsressourcen und geeignete Überlebensbedingungen für ihren Nachwuchs nutzen zu können. Ein Beispiel ist der Prachtkäfer der Gattung Melanophila. Dieser Käfer verfügt über zwei Sensorarrays von jeweils etwa 70 photomechanischen Infrarotrezeptoren. Die thermo-mechanischen Eigenschaften der Infrarotstrahlung absorbierenden Strukturen werden mit modernen materialwissenschaftlichen Methoden untersucht, um die Wirkmechanismen auch im Mikro- und Nanobereich zu entschlüsseln. Die absorbierte Infrarotstrahlung wird in ein mikromechanisches Ereignis umgesetzt, das von einer hochempfindlichen mechanosensitiven Sinneszelle gemessen wird. Mit den an den biologischen Infrarotrezeptoren gewonnenen Ergebnissen sollen Prototypen technischer photomechanischer Infrarotsensoren hergestellt werden.

Vorbild aus der Natur
Die Gattung der Prachtkäfer stellt mit über 15.000 Arten eine der größten auf der Erde dar. Einige Arten haben sich Waldbrände spezialisiert – wenn sie einen aufspüren, beginnen sie sofort mit der Paarung. Im Waldbrandgebiet werden die Eier dann im verbrannten Holz abgelegt. Die Larven fressen dann das brandgeschädigte Holz, in dem es zudem kaum Fressfeinde gibt.

>> Zahlen <<

2,5 Milliarden Euro: Kosten der Schäden, die allein in der Europäischen Union (EU) jährlich durch Waldbrände entstehen.

0,02 nm beträgt der Durchmesser der Kutikulakugeln der IR-Rezeptoren von feueraufspürenden Prachtkäfern. Das ist weniger als bei einem feinen Haar.

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