BIOKON – Das Bionik-Kompetenznetz

Best Practices

„I think the biggest innovations of the 21st century will be at the intersection of biology and technology. A new era is beginning.”
Steve Jobs, Apple Gründer

Die Innovationskraft der Bionik entspringt aus dem nahezu grenzenlosen Pool an biologischen Vorbildern für spezifische Antworten auf technische Fragestellungen. In beeindruckender Vielfalt schafft die Natur Inspirationen für technische Entwicklungen, die Marktrelevanz in den unterschiedlichsten Branchen haben.

Hier haben wir Erfolgsbeispiele der Bionik zusammengestellt, die wir nach dem Schema (1) Bionik-Innovation, (2) Technische Anwendung, (3) Bionisches Funktionsprinzip und (4) Vorbild aus der Natur aufbereitet haben – unterstützt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Rahmen der Förderung unseres Bionik-Unternehmensforums.

Willkommen bei den Innovationen an der Schnittstelle von Biologie und Technik.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Evolutionsstrategie: Nach dem Vorbild der Natur optimiert

Bionik-Innovation
Schon vor etwa 50 Jahren entwickelten die Professoren Ingo Rechenberg und Hans Paul Schwefel ein technisches Optimierungsverfahren nach dem Vorbild der biologischen Evolution. Die sogenannte Evolutionsstrategie überträgt die Grundmechanismen der biologischen Evolution auf technische Prozesse. Ziel ist das optimale Produkt. Dabei werden Lösungsvorschläge für ein Optimierungsproblem so lange auf der Basis von Zufallsprozessen analog der biologischen Mutation verändert und kombiniert, bis durch Selektion die optimale Lösung gefunden wird. Analog zur Natur, in der sich die am besten an die Umwelt angepassten Individuen im Ausleseprozess durchsetzen, können über die Evolutionsstrategie Produkte entwickelt werden, die zum Beispiel schneller oder kostengünstiger als ihre Mitkonkurrenten sind.

Technische Anwendung
Optimierte optische Linsen, Entwicklung widerstandsminimaler Strömungskörper nach Pinguin-Vorbild, die Mischung von Galvanik-Rezepturen bis hin zur Optimal-Planung des Gesundheitssystems eines Landes – die Evolutionsstrategie kann zur Entwicklung von Produkten in fast allen Lebensbereichen eingesetzt werden. Sie funktioniert auch bei der sogenannten unscharfen Optimierung: zum Beispiel bei der Erzeugung von Phantombildern bei der Polizei oder der subjektiven Komposition von Kaffeemischungen.

Bionisches Funktionsprinzip
Wie beim biologischen Vorbild werden Lösungsvorschläge, die mittels Mutation und/oder Rekombination zur Generierung neuer Lösungsvorschläge verwendet werden, als Eltern-Individuen bezeichnet. Die daraus resultierenden Lösungsvorschläge nennt man Nachkommen-Individuen. So wie es in der Natur Individuen gibt, die mehr oder weniger gut an ihre Umwelt angepasst sind, gibt es auch im technischen Fall Individuen, die das Optimierungskriterium eher erfüllen als andere. Den starken Abstraktionsgrad der Evolutionsstrategie kann man daran erkennen, dass im Gegensatz zum Vorbild Natur, wo die Nachkommen meist zwei Eltern haben, hier die Nachkommen auch nur ein Elternteil oder viele Eltern haben können. Dabei ist die Evolutionsstrategie eine Optimierungsmethode, die sehr robust ist. Auch wenn nicht immer der beste Nachkomme ausgewählt wird, führt die Evolutionsstrategie auch bei fehlerhaften Bewertungen letztlich zu einer Optimallösung.

Vorbild aus der Natur
Tiere und Pflanzen haben sich in Milliarden von Jahren optimal an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst. Möglich wird das durch das Prinzip der biologischen Evolution, durch die mittels Mutation und Rekombination die genetischen Informationen der Lebewesen ständig variiert und durch anschließend Selektion die besten Baupläne beibehalten werden. Die Selektion ist dabei das eigentliche Steuerelement, da sie nach der durch Zufallsprozesse bestimmte Mutation und Rekombination die Richtung bestimmt, in die sich die jeweiligen Lebewesen entwickeln.

>> Zitat <<

„Alles was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.“
Charles Darwin

>> Glossar <<

Evolution: aus dem lat. evolvere: „ausrollen“, „entwickeln“, „ablaufen“.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Besser fliegen: Flugzeugflügel vom Steinadler abgeschaut

Bionik-Innovation
Tragflügel mit neuartigen Multiwinglets am Ende könnten die Luftfahrt in eine neue, treibstoffsparende Ära führen. Vorbild für die Entwicklung dieser an ihrem Ende mehrfach aufgebogenen Tragflächen waren unter anderem Steinadler, die beim Flug ihre Handschwingen aufspreizen. Dies bringt im Vergleich zum konventionellen Flügel eine um elf Prozent verbesserte Gleitzahl. Bei einem flächendeckenden Einsatz an Verkehrsflugzeugen könnten so weltweit Millionen Tonnen Treibstoff gespart werden – und damit neben dem Ressourcenschutz auch zur Umweltschonung und zum Erhalt der lebenswichtigen Ozonschicht beitragen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam vom Fachgebiet Bionik und Evolutionstechnik der TU Berlin um Professor Ingo Rechenberg beschäftigte sich mit dem Problem der Verminderung des sogenannten induzierten Strömungswiderstandes nach dem Vorbild der Natur. Dazu wurde in Windkanalexperimenten ein idealer Tragflügel mit Multiwinglets entwickelt. Er könnte in der Zukunft neue Maßstäbe in Bezug auf Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Energieeffizienz und damit auch Nachhaltigkeit setzen. Die Anwendung ist bei allen Flugzeugen denkbar – an Segelflugzeugen wurden bereits erste Prototypen getestet. An Verkehrsflugzeugen werden schon heute einfache Winglets eingesetzt, durch mehrfach aufgebogenen Multiwinglets könnte der Spareffekt noch vergrößert werden.

Bionisches Funktionsprinzip
Landvögel wie der Steinadler spreizen im Gleitflug ihre Handschwingen auf. Durch diesen Trick entstehen kleinere Wirbel als sie bei einem durchgängigen Flügel entstehen würden. Damit reduziert sich der induzierte Strömungswiderstand, da dieser vom Quadrat des Wirbeldurchmessers abhängt. So nimmt der Luftwiderstand ab, der Vogel spart Energie. Technisch betrachtet sind die Handschwingen am Flügelende widerstandsgünstige Mehrdecker, die über Millionen von Jahren perfektioniert wurden. Die TU Berlin führte im Windkanal Experimente mit einem Tragflügel durch, bei dem sich die Winglets einzeln einstellen ließen. Über die der Natur nachempfundene „Evolutionsstrategie“, mit der über Computersimulationen Verbesserungen und Optimierungen rechnerisch nachvollzogen werden, wurde schließlich der perfekte Flügel mit Multiwinglets entwickelt.

Vorbild aus der Natur
Seevögel wie der Albatros können auch deshalb Tausende Kilometer fliegen, weil sie durch langgestreckte Flügel und schmale Flügelenden einen niedrigen induzierten Strömungswiderstand haben und damit Energie sparen. Der Steinadler, der an Felsen oder in Höhlungen nistet, kann keine langgestreckten Flügel haben. Er reduziert seinen Randwiderstand durch die aufgestellten Handschwingen. So kann er auf der Suche nach Beute lange in der Luft kreisen, ohne häufig mit den Flügeln zu schlagen und Energie verbrauchen zu müssen. Steinadler haben bei einer Flügelspannweite von etwa zwei Metern elf Handschwingen.

>> Historisches <<

Am 16. August 1894 hob Otto Lilienthal mit seinem „Flug-Zeug“ ab: Sein Schlagflügelapparat hatte bereits aufgespreizte Flügelenden. Bis zum Multiwinglet war es ein weiter Weg, doch ein erster Schritt in die bionische Richtung war unbeabsichtigt vom Flugpionier bereits gemacht.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Auf dem Weg zur idealen Stromlinienform – das Pinguin-Prinzip

Bionik-Innovation
Fortbewegung mit geringstem Widerstand und minimaler Energiezufuhr: Spindelförmige Strömungskörper nach dem Vorbild von Pinguinen setzen neue Maßstäbe der Aerodynamik. Im Wasserkanal erzielen solche Rotationskörper Widerstandsbeiwerte von 0,02 cw. Zum Vergleich: Bei Autos liegen die durchschnittliche cw-Werte zwischen 0,25 bis 0,5, bei U-Boote betragen sie etwa 0,1. Bei entsprechender aerodynamischer Anpassung − etwa bei einem Luftschiff − lässt sich eine Treibstoffersparnis von bis zu 30 Prozent erzielen.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam um den Berliner Biologen und Evolutionstechniker Dr. Rudolf Bannasch von hat Adélie-Pinguine aus der Antarktis umfangreich vermessen und mit Rechenmodellen, welche die Evolution im Zeitraffer abbilden, einen idealtypischen Strömungskörper entwickelt. Sie dienen als Blaupause für verschiedenste Fortbewegungsmittel, deren Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit in besonderer Weise aktuell und in Zukunft gefordert ist. Dazu zählen unter anderem Unterwasserroboter, U-Boote, Unterseetanker, Luftschiffe oder Trägerraketen – „auch Autos, Lkw, Züge oder Flugzeuge“, so Bannasch, „werden langfristig an der Pinguin-Form nicht vorbeikommen.“

Bionisches Funktionsprinzip
Über der wellenförmigen Pinguinkontur – vom spitzen Schnabel über den dicken Kopf und den schmalen Hals zum voluminösen Rumpf – wird die Verdrängungsströmung nicht in einem Rutsch beschleunigt, sondern in Etappen. Der Wechsel von Druck und Entspannung reduziert den Gesamtwiderstand. Anders als beispielsweise bei Fischen, Robben und Delfinen, die ebenfalls einen langgestreckten, stromlinienförmigen Körperbau aufweisen, sticht die Körperform des Pinguins als technisches Vorbild für Fahrzeuge hervor, weil dessen Rumpf unter Wasser relativ starr bleibt. Pinguine beschränken sich weitgehend auf das Paddeln mit ihren Flossen, während die meisten anderen Wassertiere Bewegungen des gesamten Rumpfs zur Fortbewegung nutzen.

Nach diesem Prinzip stellt das Bionikforscherteam von Dr. Bannasch an der Drehbank einen idealisierten Pinguin her, bei dem weder Flügel noch Füße die Symmetrie stören. Das Ergebnis ist eine Spindel, die auf der Vorderseite wellenförmig dicker wird und nach hinten spitz ausläuft. Dieser Rotationskörper erzielt einen cw-Wert von 0,02. Die natürlichen Vorbilder erzielen 0,03.

Vorbild aus der Natur
Adélie-Pinguine aus der Antarktis werden etwa 55 Zentimeter groß. Im Wasser sind sie auf die polaren Lebensumstände extrem angepasste Lebewesen, die pro Tag eine Strecke von mehr als 100 Kilometern zurücklegen. Die extreme Kälte und das knappe Nahrungsangebot erfordern einen sehr effizienten Umgang mit den Energieressourcen ihrer Körper. Gerade einmal ein Kilogramm Krill (Kleinkrebse) verbrennt ein Adelie-Pinguin auf einer Strecke von 100 Kilometern. Mit der Energie aus einem Liter Benzin käme er umgerechnet 1.500 Kilometer weit. Messungen im Schwimmtank ergaben: Bei normalem Reisetempo verbrauchen Adélies gerade einmal 60 Watt – so viel wie eine einfache Glühbirne. Mit einer Magensonde erfassen die Forscher, wann die Pinguine fressen und wie viel. Hauptnahrungsmittel ist Krill, mit einem Brennwert von 3.700 Kilojoule je 1.000 Gramm. Damit kommt ein Adélie wie oben erwähnt 100 Kilometer weit.

>> Zahlen <<

11 km/h: durchschnittliche Geschwindigkeit von Adélie-Pinguinen unter Wasser
25 km/h: Sprintgeschwindigkeit
8,3 km/h: Sprintgeschwindigkeit von Alexander Popow, Weltrekordhalter über 50 Meter Freistil

>> BIOKON-PROFIL <<

Dr. Rudolf Bannasch, Polarbiologe und Bioniker, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genialen Erfindungen der Natur. Eines sehr Spezialgebiete, die strömungsgünstige Körperform von Pinguinen, zählt mittlerweile zu den Klassikern der Bionik. Sie war für ihn Vorbild für den Bau von Unterwasserfahrzeugen. In seiner eigens gegründeten Firma EvoLogics GmbH arbeitet Bannasch an der Realisierung von weiteren bionisch inspirierten technischen Anwendungen.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Ein „Elefantenrüssel“ sorgt für die sichere Interaktion zwischen Mensch und Maschine

Bionik-Innovation
Roboter agieren meist ruckartig. Bewegung in der Natur vollzieht sich hingegen flüssig, und hier setzen einige Produkte der bionischen Forschung an. Der Elefantenrüssel wird vor diesem Hintergrund beim Projekt „BROMMI:TAK“ als multifunktionales Meisterwerk zum Vorbild für den Bau von bionischen Robotern. Diese zeichnen sich durch ein gutes Masse-Leistungs-Verhältnis aus, welches die Handhabung von hohen Lasten bei einer geringen Eigenmasse ermöglicht. Vor allem aber wird die Sicherheit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine entscheidend erhöht.

Technische Anwendung
Beim BMBF finanzierten „Elefantenprojekt“ werden in Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität Berlin, dem Fraunhofer-Institut IFF und der Festo AG die hochflexiblen und sicheren Bewegungsmöglichkeiten des Rüssels technisch nachgestellt. Die mit einem Kamerasystem und einer Bildverarbeitung ausgestatteten Roboter können Objekte in einem Pick-and-Place-Szenario gezielt aufnehmen und ablegen. Der rüsselähnliche Roboterarm hat im Unterschied zu herkömmlichen Varianten keine Klemm- oder Scherstellen, aus denen ein hohes Verletzungsrisiko für den Menschen hervorgeht. Die weitere Risikominderung entsteht durch das natürlichere Bewegungsverhalten. „Neben der industriellen Produktion ermöglicht ihre hohe Sicherheit die Erschließung neuer Anwendungen wie beispielsweise im Pflege-, Domestik- und Life-Science-Bereich“, sagt Projektchef Dr. Ivo Boblan von der TU Berlin.

Bionisches Funktionsprinzip
Der ausschließlich aus Muskeln bestehende Elefantenrüssel ist wegen seiner Beweglichkeit ein Multitalent. Auch der an diese Funktionsweise angelehnte Roboterarm wird ausschließlich mit pneumatischen „Muskeln“ betrieben und ist aus mehreren Einzelmodulen zusammengesetzt. Jedes dieser Einzelmodule verfügt über zwei Bewegungsfreiheitsgrade und kann wie bei einem Schultergelenk Beugungen ausführen. Der Roboterarm BROMMI:TAK kann somit wie ein Elefantenrüssel gebeugt, angehoben und gedreht werden. Er ist im Aktionsraum frei positionierbar.
Eine zentrale Steuerung und dezentrale Antriebsregler bilden die Kernelemente der Roboter-Lenkung. Über einen Hauptrechner werden alle Geschwindigkeits- und Positionsergebnisse online berechnet. Eine integrierte Bildverarbeitung und eine zusätzliche Differenzenregelung kompensieren zudem etwaige Positionsfehler.

Vorbild aus der Natur
Elefanten sind die größten auf der Erde lebenden Landtiere, sie können über vier Meter groß und zehn Meter lang werden. Ihr Rüssel ist ein über Jahrmillionen Evolutionsgeschichte entwickeltes Multitalent, das wegen seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten an die menschliche Hand erinnert. Eigentlich ist es eine verlängerte Nase, mit der der Elefant aber eben auch greifen, Wasser aufnehmen oder kämpfen kann. Mit Hilfe des Rüssels können Elefanten auch Äste und Pflanzen aus bis zu sieben Meter Höhe erreichen.

>> Zahlen <<

40.000: ungefähre Zahl der Muskeln im Elefantenrüssel.
10 Liter: so viel Wasser kann ein Elefant mit einem Zug in seinem Rüssel aufnehmen.

>> Glossar <<

Das Akronym BROMMI steht „Bionische Rüsselkinematik für sichere Roboteranwendungen in der Mensch-Maschine-Interaktion“. Der Zusatz TAK („Tripedale Alternanzkaskade“) weist darauf hin, dass der Roboter ausschließlich durch fluidische Muskeln betrieben wird.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Lotus-Effekt lässt Metallprodukte länger leben

Bionik-Innovation
Hier haften nicht einmal Honig oder Schneckenschleim: Antiadhäsive Beschichtungen mit dem einst von Professor Wilhelm Barthlott für die Technik nutzbar gemachten Lotus-Effekt erhöhen die Lebensdauer von Metalloberflächen. Durch die Entschlüsselung der Nano- und Mikrostruktur pflanzlicher und tierischer Vorbilder eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für die Industrie. Die innovativen Produkte weisen minimierte Kontaktflächen zu anderen Materialien auf und sind zudem mit wasserabweisenden Stoffen wie Fluorpolymeren oder Silikon bestückt.

Technische Anwendung
Ein Forscherteam des Instituts für Botanik der TU Dresden entschlüsselt in Verbindung mit weiteren Projektpartnern die Nano- und Mikrostrukturen pflanzlicher Vorbilder mit antiadhäsiven Oberflächen wie der Lotusblume. So werden dauerhaftere Beschichtungen mit antiadhäsiven und hydrophoben Eigenschaften zur Verlängerung der Lebensdauer von Materialien wie Edelstahl oder Aluminium entwickelt. Die technischen Anwendungen in der Industrie sind extrem vielfältig: Sie reichen von Korrosionsschutzschichten, über Antihaftbeschichtungen von Farbwannen oder Druckereiwalzen bis hin besser zu reinigenden Beschichtungen. Bei energieeffizienten Prozessen können antistatische Eigenschaften der neuen Materialien von großem Nutzen sein.

Bionisches Funktionsprinzip
Natürliche Oberflächen erreichen durch ihre vielfältige Mikrostrukturierung in der Längenskala zwischen 10 nm und etwa 100 µm in vielfachen Kombinationen eine herausragende Erhöhung der Antihaft-Eigenschaften. Diese Strukturen werden technisch bei teuren Werkstoffen wie Edelmetallen oder Aluminium nachgebaut. Eine Mikrostrukturierung dieser Materialien durch Sandstrahlen oder Flammspritzen mit anschließender Nanostrukturierung durch elektrochemische Behandlung sorgen für eine spezielle Oberflächenstruktur, an der nicht einmal hochviskose Flüssigkeiten haften. Als Beschichtung dienen Fluorpolymere oder ähnliche Materialien mit niedriger Oberflächenenergie und ausreichender chemischer sowie mechanischer Stabilität wie zum Beispiel Silikon.

Vorbild aus der Natur
Die Lotusblume verfügt über außergewöhnliche, antiadhäsive Eigenschaften. Erreicht werden diese durch eine Verbindung aus einer Nanostruktur und speziellem Wachs auf der Pflanzenoberfläche. So wird die Kontaktfläche zwischen Wasser und Oberfläche drastisch reduziert. Ein Wassertropfen hat auf der Lotusblume nur eine Auflagefläche von 0,6 Prozent – das ist ein Rekord im Reich der Natur. Das Wasser perlt ab und nimmt dabei noch den Schmutz und andere Stoffe mit. Die biologische Bedeutung des Lotuseffekts liegt im Schutz vor einer Besiedlung durch Mikroorganismen, Krankheitserreger oder Keime oder vor Bewuchs mit Algen. Ähnliche Systeme gibt es auch bei anderen Pflanzen und Tieren.

>> Info <<

Sauber!
Wegen ihrer Fähigkeit Schmutz abzuweisen gilt die Lotusblume in weiten Kreisen Asiens als Symbol der Reinheit, Treue, Schöpferkraft und Erleuchtung und wird als Symbol sowohl im Buddhismus wie Hinduismus aufgegriffen.

>> BIOKON-PROFIL <<

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott ist einer der Pioniere der biologischen und technischen Grenzflächenforschung. Er studierte Biologie, Chemie und Physik an der Universität Heidelberg. Nach seiner Habilitation bekam er einen Ruf an die Freie Universität Berlin, die er nach drei Jahren wieder verließ, um von 1985 bis 2002 als Professor und Direktor am Botanischen Institut und des Botanischen Gartens der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig zu sein. 2003 gründete er das Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Nach seiner Emeritierung leitet er weiter die Forschungsstelle „Biodiversität im Wandel“, ein Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz und des Landes Nordrhein-Westfalen.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Greifen mit dem Fischflossen-Effekt

Bionik-Innovation
Adaptive Greifer mit dem Fin Ray Effect® setzen neue Maßstäbe. Sie passen sich der Kontur des zu greifenden Teils an – und können deshalb multifunktional eingesetzt werden. Dadurch wird sicheres und zerstörungsfreies Greifen selbst von leicht zerbrechlichen oder unregelmäßig geformten Werkstücken möglich. Zugleich sorgt das gegenüber vergleichbaren Seriengreifern um 80 Prozent niedrigere Gewicht für Materialersparnis und Ressourcenschonung.

Technische Anwendung
Der von der Festo AG entwickelte bionische Greifer DHDG bietet herausragende Einsatzmöglichkeiten zum Beispiel in einer Sortier- und Umsetzanlage von zerbrechlichen Schokoladeneiern. „Die flexible Struktur des adaptiven Greifers macht es sogar möglich, die Überraschungseier zu greifen, wenn sie geneigt oder nicht richtig positioniert sind“, sagt Ingenieur Federico Nardone vom italienischen Systemintegrator FluidoDinamica. Der adaptive Greifer ist deswegen für die Lebensmittelindustrie genauso geeignet wie beispielsweise für Sortierarbeiten von unregelmäßigen und empfindlichen Produkten wie Eier, Blumenzwiebeln oder Früchten. Auch im Maschinenbau oder bei Hilfs- und Unterstützungsarbeiten im Gesundheitsweisen kann der bionische Greifer neue Horizonte in der Anwendung erschließen.

Bionisches Funktionsprinzip
Fischflossen verhalten sich unter seitlicher Druckeinwirkung unerwartet. Drückt man zum Beispiel mit dem Finger leicht gegen die Schwanzflosse einer Forelle, so knickt diese nicht in Druckrichtung weg, sondern die Flosse bewegt sich entgegen der Druckrichtung zum Finger hin. Diesen Effekt bezeichnet man als Fin Ray Effect®. Entdeckt wurde er vom Berliner Bioniker Leif Kniese im Jahr 1997 im Angelurlaub. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Rudolf Bannasch entschlüsselte er die Wirkungsweise im Labor und meldete sie zum Patent an. Der Effekt beruht auf der Struktur der einzelnen Flossenstrahlen und wird in der Technik inzwischen vielfältig verwendet. Setzt man technische Flossenstrahlen zusammen, entsteht eine adaptive Zange. Der adaptive Greifer DHDG besteht aus einem pneumatischen Antrieb sowie drei Greiffingern mit dem Fin Ray Effect®.

Vorbild aus der Natur
Die Schwanzflossen der Knochenfische wurden im Lauf der Evolution auf seitliche Druckeinwirkung optimiert. Durch den Aufbau der Flossenstrahlen aus zwei Längsstrahlen und dazwischenliegendem Bindegewebe kann die Flosse eine kellenförmige Gestalt annehmen. In dieser „Kelle“ kann ein Wasservolumen eingeschlossen und nach hinten beschleunigt werden. Dadurch bewegt sich der Fisch hocheffizient nach vorne.

>> Zahlen <<

0,1 mm
dünne Schichten aus Polyamidpulver werden für den FinGripper im Selective Laser Sintering Verfahren nacheinander aufgetragen und zu einem festen Bauteil ausgehärtet.
Diese Bauweise ermöglicht die Reduktion des Gewichts an der Werkzeugaufnahme um 90% gegenüber einem herkömmlichen Greifer aus Metall.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Unterwassermodems: Datenübertragung nach Delfin-Art

Bionik-Innovation
„Es ist kurios, dass wir solch hoch entwickelte Technologien haben, aber unter Wasser buchstäblich Funkstille herrscht.“ Mit dieser Feststellung wollte sich der Biologe und Unternehmer Dr. Rudolf Bannasch nicht zufriedengeben – und entwickelte in seiner Firma EvoLogics GmbH ein Unterwassermodem nach Delfin-Vorbild.
Damit können unter Wasser bei einer Reichweite von zwei Kilometern etwa 2.560 Byte pro Sekunde übertragen werden. Das ist knapp ein Drittel so viel wie bei einer ISDN-Leitung. Bisher müssen zum Beispiel U-Boote mehr Hundert Meter lange Drähte als Antennen hinter sich herziehen, um einfache Nachrichten empfangen zu können. Gesendet werden kann damit nicht.

Technische Anwendung
Rudolf Bannasch beobachtete die Kommunikation der Delfine − und entschlüsselte die Wirkungsweise ihres „Gesangs“. Physikalisch ist die Kommunikation unter Wasser so anspruchsvoll, weil die Echos von Schallwellen das ursprünglich ausgesendete Signal überlagern und unverständlich machen. Doch das neue Unterwassermodem nach Delfin-Vorbild ermöglicht nun eine zuverlässige Signalübertragung. Die denkbaren Anwendungen der neuen Technologie sind breit gefächert − und das nicht nur in U-Booten. Messsonden, Unterwasser-Roboter und vielfältige andere Gerätschaften der Meeresforschung, Umweltüberwachung und Off-Shore-Industrie (z.B. Ölförderindustrie und Windparks) könnten auch bei starkem Rauschen zuverlässig gesteuert und ganze Unterwasser-Datennetzwerke aufgebaut werden. Im deutschen Tsunami-Frühwarnsystem sorgen solche Spezialmodems für die Datenverbindung zwischen Bodenstation (bis 6.000 Meter Tiefe) und der Satellitenboje an der Oberfläche. Das System wird derzeit im Indischen Ozean erprobt.

Bionisches Funktionsprinzip
Bei einem Besuch am Schwarzen Meer beobachte Bannasch, dass Delfine ihre Bewegungen selbst in einem Becken mit zahllosen Echos perfekt koordinieren können. Er entschlüsselte das Geheimnis ihrer ausgefeilten Signaltechnik. „Konstante Töne gibt es bei den Delfinen nicht – sie tirilieren, pfeifen und zwitschern. Das ist der wichtigste Unterschied.“ Durch die ständige Änderung der Sprachfrequenz verhindern die Delfine, dass sich Signal und Echo stören. Andere Delfine können diese Signale trennen und entschlüsseln. Die von den Tieren erzeugten Laute haben Obertöne, deren Frequenz ein ganzzahliges Vielfaches des Grundtons ist. So etwas gibt es auch bei digital modulierten Signalen, wodurch größere Datenmengen übertragen werden können.

Vorbild aus der Natur
Delfine gehören zur Gruppe der Wale und gelten als die lernfähigsten und intelligentesten Tiere. Deshalb faszinieren sie die Menschen schon seit Jahrtausenden und wurden sogar lange als heilig verehrt. Die Meeressäuger sind sehr soziale Tiere, die teilweise in größeren Gruppen zusammenleben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kommunikation, die neben verschiedensten Lauten auch über direkten Körperkontakt funktioniert. Wegen ihrer Verspieltheit und Empathie werden Delfine therapeutisch bei der Heilung von kranken Menschen eingesetzt. Ihre außergewöhnliche Lernfähigkeit nutzen aber auch Militärs in den USA und Russland, um Seeminen an feindlichen Schiffen anzubringen oder Minen zu entschärfen.

>> BIOKON-PROFIL <<

Dr. Rudolf Bannasch, Polarbiologe und Bioniker, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genialen Erfindungen der Natur. Eines sehr Spezialgebiete, die strömungsgünstige Körperform von Pinguinen, zählt mittlerweile zu den Klassikern der Bionik. Sie war für ihn Vorbild für den Bau von Unterwasserfahrzeugen. In seiner eigens gegründeten Firma EvoLogics GmbH arbeitet Bannasch an der Realisierung von weiteren bionisch inspirierten technischen Anwendungen.

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Best Practices // 31. Juli 2014

Der Klettverschluss als Klassiker der Bionik

Bionik-Innovation
Bei Spaziergängen verfingen sich immer wieder Kletten in den Haaren der Hunde des Schweizer Ingenieurs Georges de Mestral. Das machte ihn neugierig, also legte er die Früchte unter sein Mikroskop und entdeckte winzige elastische Häkchen als Geheimnis hinter dem Klebemechanismus. De Mestral sah das als Möglichkeit, zwei Komponenten reversibel zu verbinden und erfand den textilen Klettverschluss. Damit schuf er das wohl bekannteste und erfolgreichste Produkt der Bionik. Inzwischen arbeiten Bioniker schon an Klettverschlüssen der zweiten Generation – sie sollen weniger leicht verschmutzen und nicht mehr das typische „Ratsch“-Geräusch beim Öffnen machen.

Technische Anwendung
Der Klettverschluss gehört mit verschiedensten Produkten zum täglichen Leben. Der Einsatz reicht von Schuhen, Bekleidungsstücken, Babywindeln, den Manschetten beim Blutdruckmessen, Rücksäcke und Taschen bis hin zum Messebau, Kabelbindern oder den Raumanzügen bei Astronauten. Selbst zur Fesselung kann ein Klettband verwendet werden. Für Rennfahrer- und Feuerwehrkleidung gibt es unbrennbare Klettbänder aus Nomex, in der Luftfahrtindustrie haben sie sogar selbstlöschende Eigenschaften im Brandfall. Selbst reversible Verbindungen aus dünnen Blechen wurden inzwischen entwickelt. Der Umsatz mit den Klettverschluss-Produkten erreicht Abermillionen von Euro jährlich.

Bionisches Funktionsprinzip
Klettfrüchten besitzen viele kleine elastische Häkchen, die auch dann nicht kaputt gehen, wenn man sie aus einem Hundefell herauszieht oder von der Kleidung löst. In diesem Fall führte das direkte Abschauen von der Natur zu einer genialen bionischen Lösung für die Technik. Der Klettverschluss besteht aus einem Hakenband, das wie die Klettfrucht eine große Zahl von elastischen Häkchen besitzt. Das Flauschband entspricht dem Tierfell und besteht aus vielen feinen geschlossenen Schlingen, die sich in den Häkchen verfangen können. Inzwischen gibt es viele Weiterentwicklungen, wie das Pilzkopfband und das Veloursband, die noch stärkere Haftkräfte entwickeln.

Vorbild aus der Natur
Die Große Klette, die das Vorbild für die Erfindung des Klettverschlusses lieferte, ist in Eurasien heimisch. Sie wird bis zu 1,50 Meter hoch und entwickelt stachlig-runde Früchte. Durch das Ankleben an Fremdkörper wird der Samen perfekt verbreitet. Die Klette gilt seit dem Mittelalter als Volksarzneipflanze, ihre Inhaltsstoffe haben antioxidative Wirkungen. Die Wurzeln und junge Blätter können als Gemüse gegessen werden.

>> Zahlen <<

1951 – in diesem Jahr meldete Georges de Mestral den Klettverschluss zum Patent an.

Bis zu 35 t pro Quadratmeter kann ein Klettverschluss aus Metall halten – und das selbst bei 800 Grad Celsius.

>> PROFIL <<

Der Ingenieur Georges de Mestral (1907 bis 1990) gilt als Pionier der Bionik. Schon als Kind interessierte er sich für Technik und ließ sich im Alter von zwölf Jahren ein mit Stoff bespanntes Modellflugzeug patentieren. Weltberühmt wurde er mit der Erfindung des Klettverschlusses. Er gründete die Firma Velcro Industries, die 1959 den ersten Klettverschluss auf den Markt brachte. Noch heute ist die Firma einer der Weltmarktführer, beschäftigt auf vier Kontinenten über 3.000 Mitarbeiter und setzt über 250 Millionen Dollar jährlich um.

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